Grundlagenforschung zu Friedensursachen von Martin Arnold

Gütekraft als Friedensursache

Die Vorgehensweise Gandhis und vieler anderer im Einsatz für mehr Gerechtigkeit, Freiheit und Menschlichkeit wird im Deutschen seit Mitte der 1990er Jahre mit dem Begriff Gütekraft bezeichnet. Gütekraft ist sowohl bei Konflikten anwendbar als auch in Fällen, bei denen es keine direkten Gegner gibt, das heißt allgemein beim Abbau sozialer Missstände. Allerdings führen Missstände oft zu Konflikten. Sie mit friedlichen Mitteln abzubauen, ist Friedensarbeit.

Gütekräftiges Vorgehen ist stark

Auch wenn es bereits zu gewaltsamem Austrag von Konflikten gekommen ist, gilt: Gütekraft ist stärker als Gewalt. Sie führt effektiver und oft auch schneller zum Ziel. Das zeigen mehrere Studien.

Was macht gütekräftiges Vorgehen so stark? Wie ist gewaltfreies Vorgehen zu konzipieren, um erfolgreich zu sein? Das sind die Fragen eines umfangreichen Forschungsprojekts zur Gütekraft, das von der Deutschen Stiftung Friedensforschung gefördert wurde. Der Essener Friedensforscher Dr. Martin Arnold hat die Studie Ende 2011 veröffentlicht.

Einen Einblick in die Forschungsergebnisse mit Beispielen gibt der unten als Download verfügbare Text (22 Seiten). Worum geht es?

Konzepte von Goss-Mayr, Gandhi und de Ligt untersucht

Arnold hat in seiner Studie drei erfolgreich angewandte Handlungskonzepte untersucht, die von einzelnen herausragenden ProtagonistInnen mit unterschiedlichen weltanschaulichen Hintergründen entwickelt wurden. Der detaillierte Vergleich dieser Konzepte hat die Vermutung bestätigt: Trotz der großen Unterschiede in den weltanschaulichen Prägungen und in den Handlungsformen wird ein gemeinsames Konzept deutlich. Es baut auf Grundüberzeugungen auf, die alle ProtagonistInnen teilen, und beschreibt allgemein die Kraft, die bei gewaltfreiem Vorgehen gegen Missstände zur Wirkung kommt: die Gütekraft.

Auf die Konfliktbearbeitung bezogen bedeutet Gütekraft, dass nicht mehr die Vorstellung „dies ist ein Konflikt“ im Vordergrund steht, sondern die veränderte Sichtweise „dies ist ein Missstand, an dessen Abbau den Beteiligten gelegen ist“. Dazu trägt wesentlich bei, dass die Engagierten auch die anfänglichen Unterstützer und Befürworter eines Missstandes als potentielle Verbündete ansprechen. Sie betrachten alle, sich selbst und die anderen, als Beteiligte, die sowohl Anteile am Missstand wie auch die innere Neigung zum Guten haben. Das Bewusstsein des Verbundenseins, das für die Wirkung des gütekräftigen Vorgehens grundlegend ist, kann entdeckt und bewusst entwickelt werden. Arnold spricht von „gütekräftiger Umorientierung“. Eine solche Umorientierung hat Bedeutung für das menschliche Zusammenleben allgemein und die Art, wie wir miteinander umgehen. Für Menschen, die gegen einen Missstand engagiert sind, kann sie grundlegend sowohl für den internen Zusammenhalt einer Bewegung als auch für die Beharrlichkeit im gütekräftigen Einsatz sein.

Neuer Begriff bringt alten Inhalt nach vorn

Was ist das Neue an diesem Modell? Brauchen wir nach „Gewaltlosigkeit“, „aktiver Gewaltfreiheit“ und „passivem Widerstand“ einen neuen Begriff? In seiner Heimat entwickelte Gandhi für seine Streitkunst das neue Sanskrit-Wort Satjāgrah (engl. Schreibweise: satyagraha) und meinte damit eine „Kraft, die aus Wahrheit und Liebe geboren wird“. Bei der Übersetzung ins Englische (non-violence) und in andere westliche Sprachen ging dieser Bedeutungsgehalt jedoch verloren.

„Der Begriff Gütekraft bringt endlich den wichtigsten Aspekt von Gandhis Streitkunst auch bei uns zur Sprache: ihre Wirksamkeit, ihre Stärke“, so Arnold. „Dagegen lassen Begriffe wie passiver Widerstand, Gewaltlosigkeit, oder Gewaltfreiheit an einen Verzicht auf Starkes denken.“ Studien zeigen, dass Bezeichnungen wie „Non-violence“ und „Gewaltfreiheit“ fundamentale Missverständnisse hervorrufen. „Deshalb ist ein neuer Begriff überfällig“, betont Arnold. Sein Ziel: dass sich mehr Menschen mit der gütekräftigen Vorgehensweise auseinandersetzen und verstehen, wie sich auf friedlichem Wege soziale Missstände wirksam abbauen lassen.

Arnolds Studie bietet dafür eine hervorragende Möglichkeit, auch wenn es vielleicht nicht jedermanns Sache ist, sich in mehr als tausend Seiten wissenschaftlicher Darstellung zu vertiefen. Erleichtert wird die Lektüre dadurch, dass die Studie in insgesamt vier Büchern publiziert wurde. Die Lektüre des Bandes mit den Gesamtergebnissen nach einem der Einzelbände erleichtert das Verständnis, denn die Einzelbände zu Mohandas K. Gandhi, Hildegard Goss-Mayr und Bart de Ligt bieten neben einem biografischen Überblick eine Vielzahl von Beispielen, so dass sie auch den weniger an wissenschaftlichen Fragen interessierten LeserInnen gut zugänglich sind. Die Lektüre ist faszinierend, motivierend und macht Mut angesichts der vielen Probleme in unserer Welt, die auf eine Lösung warten. Indem Arnold die Gemeinsamkeiten verschiedener erfolgreich angewandter Konzepte zusammenführt, zeigt er die Wirkungsweise der Gütekraft auf. Arnold bietet weder Anleitungen noch fertige Lösungen, aber er zeigt einen Weg dafür, wie sie sich finden lassen.

Martin Arnold: Gütekraft als Friedensursache. Einblick in die Studie „Gütekraft: Ein Grundmodell der Wirkungsweise erfolgreicher gewaltfreier Konfliktaustragung nach Hildegard Goss-Mayr, Mohandas K. Gandhi und Bart de Ligt“ Text zum Download (22 Seiten).

Martin Arnold ist Autor des Aachener Friedensmagazins aixpaix.de. Seine Beiträge sehen Sie hier


World Wide Web aixpaix.de