Gershon Baskin

Keine Fortsetzung des Unilateralismus!

14. März 2013

Gershon Baskin. Foto: Otmar Steinbicker

Die Genfer Vereinbarung bekundet, dass es möglich ist, in allen Konfliktpunkten zu einer Einigung mit den Palästinensern zu kommen.

Es ist kaum zu glauben, dass ernst zu nehmende Politiker wieder einmal darüber sprechen, unilaterale Schritte sollten unternommen werden. Ehud Barak hat gesagt, wir sollten einen weiteren unilateralen Rückzug in Betracht ziehen, denn wir könnten nicht mit den Palästinensern verhandeln. Naftali Bennett sagt, wir sollten das Gebiet C – mehr als 60 Prozent der Westbank – unilateral annektieren. Yoaz Hendel, ein ehemaliger hoher Beamter im Büro des Ministerpräsidenten, sagt, wir sollten unilateral die Siedlungs-Blocks annektieren.

Na, prächtig! Und wie geht es dann weiter? Sagt uns das bitte! Haben wir uns nicht schon einmal unilateral aus Gaza zurückgezogen? Und was haben wir als Gegenleistung bekommen? Die Hamas! Ja, wir mussten raus aus Gaza. Es war ganz richtig, den Gazastreifen zu verlassen. Wir hatten keine Zukunftsaussichten, wenn wir Gaza gegen den Willen von mehr als 1,5 Millionen Palästinensern, von denen die meisten Flüchtlinge waren, besetzt gehalten hätten.

Ministerpräsident Ariel Sharon brachte den Abzug Israels vom Gazastreifen in Gang, um die internationale Aufmerksamkeit vom nicht offiziellen Genfer Abkommen, das früher einmal israelische und palästinensische Unterhändler geschlossen hatten, abzulenken.

Die Genfer Vereinbarungbekundet, dass es möglich ist, in allen Konfliktpunkten zu einer Einigung mit den Palästinensern zu kommen. Zu den Genfer Unterhändlern gehörten ehemalige hohe Angehörige von Militär und Geheimdienst, darunter ein ehemaliger Stabschef. Das Abkommen gewann überall in der israelischen Bevölkerung breite öffentliche Unterstützung.

Regierungen in aller Welt gaben ebenfalls ihre Unterstützung zu erkennen und sogar das Weiße Haus und das US-Außenministerim fanden anerkennende Worte für das Abkommen. Das machte Sharon nervös, denn er war nicht bereit, die Genfer Formel zu akzeptieren und sich aus der Westbank zurückzuziehen, wo der palästinensische Staat gleich neben Israel errichtet werden sollte.

Sharon brachte den Gedanken des Abzugs auf und er hatte richtig gerechnet: Der Abzug zog die gesamte internationale Aufmerksamkeit vom Genfer Abkommen ab. Die internationale Gemeinschaft würde sich ernstlich einschalten und das Nahost-Quartett würde einen Sondergesandten schicken und die ganze Welt würde sich auf das wunderbare Ereignis konzentrieren, wie General Ariel Sharon die Siedlungen aus Gaza entfernt! Man stelle sich das einmal vor: Ausgerechnet der Vater der Siedlungsbewegung entfernt die Siedlungen aus Gaza!

Die internationale Gemeinschaft ließ sich auf die Vorstellung ein, Gaza wäre der erste Schritt, dem weitere Rückzüge und Entfernungen von Siedlungen aus der Westbank folgen würden. Aber Sharon spielte ein anderes Spiel und ließ sich nie in die Karten gucken.

Als Reaktion auf Sharons Entscheidung des unilateralen Rückzugs aus Gaza setzten die Palästinenser eine Abzugs-Führungskraft ein. Sie übertrugen Mohammed Dahlan, der damals ein starker Mann in Gaza war, die Leitung des Projekts. Dahlan schuf etwa 10 Komitees, die die Übernahme von Gaza durch die Palästinenser planten, denn er glaubte, sie würden mit entsprechenden Komitees, die in Israel zusammengestellt würden, zusammenarbeiten. Dahlans Komitees arbeiteten fleißig mit internationaler Unterstützung.

Mahmoud Abbas bat Sharon dringend, den Abzug zu koordinieren und die ordentliche Übergabe des Gebiets an die PLO auszuhandeln. Sharon antwortete in seinem gewohnt sarkastischen Geist: „Abbas ist ein Huhn ohne Federn.“ Sharon sagte den Amerikanern und James Wolfensohn, dem früheren Präsidenten der Weltbank und Sondergesandten für den Abzugs-Prozess, Abbas sei kein Partner.

Man warnte Sharon, dass, wenn er den Abzug nicht ordentlich koordiniere und mit Abbas und der PLO zusammenarbeite, dadurch die extremeren Gruppen in Gaza gestärkt würden.

Das schien ihm keine Sorgen zu bereiten.

Ich ging damals zu einem von Sharons engsten Beratern und politischen Verbündeten und bat ihn, Sharon davon zu überzeugen, er solle mit Abbas am Abzug zusammenarbeiten. Er sagte mir, wenn ich der neu gegründeten Kadima beitreten würde, würde das die Chancen erhöhen, dass Sharon auf mich hören werde. Ich trat der Kadima bei und immer noch weigerte sich Sharon, mir zuzuhören. Er sagte mir damals, ich solle nicht mehr an die Sache denken.

Der Berater sagte mir, Sharon glaube, dass es den Palästinensern nach der Übergabe von Gaza an Israel nicht gelingen würde, Gaza zu regieren, und dass dann der internationale Druck auf Israel hinsichtlich der Westbank aufhören würde. Wie raffiniert!

James Wolfensohn und seine Mitarbeiter machten Überstunden, um den Erfolg sicherzustellen. Wolfensohn hat sogar 15 Millionen Dollar aufgebracht, um den Gush-Katif-Siedlern die sehr erfolgreichen Gewächshäuser abzukaufen. Dort standen vor dem Abzug etwa 500 Hektar Gewächshäuser. Die Siedler ruinierten etwa 50 Hektar, als sie abzogen. Palästinensische Vandalen ruinierten weitere etwa 50 Hektar, bevor die palästinensische Polizei eingriff und sie aufhielt. Etwa 400 Hektar blieben übrig.

Die palästinensische Behörde gründete eine Verwaltungsgesellschaft und dieselben Arbeiter, die für die Siedler gearbeitet hatten, setzten ihre Arbeit für die Verwaltungsgesellschaft fort. Die Gesellschaft machte nach der ersten Saison bankrott. Warum? Weil Israel nach dem Rückzug aus Gaza die Grenzen geschlossen hatte und die Produkte, bevor sie auf einen Markt hätten kommen können, verdorben waren.

Das geschah, bevor die Hamas gewählt wurde.

Zur selben Zeit forderten die Amerikaner, dass Israel das im November 2005 ausgehandelte Abkommen über den Grenzübergang [nach Ägypten] in Rafah und über Bewegung und Zugang dort unterzeichne. Aber in den ersten 100 Tagen nach der Unterzeichnung des Abkommens war der Grenzübergang nur 17 Tage geöffnet.

Der erfolgreiche Abzug Israels aus Gaza führte zur erfolgreichen Übernahme von Gaza durch die Hamas. Wer auf der palästinensischen Seite hat die Geschichte gewonnen, die zu Israels Entscheidung, sich zurückzuziehen, geführt hat? Diplomatie und Verhandlungen oder Gewehre, Bomben und bewaffneter Kampf? Die Hamas hat die Geschichte gewonnen und diese stärkte sie gegen die Versäumnisse im diplomatischen Prozess. Die Palästinenser sagen: Die Israelis verstehen ausschließlich die Sprache der Gewalt. Das Endergebnis konnte jeder sehen, der irgendetwas von der palästinensischen Art und Politik verstand.

Ich versichere jedem, dass die Umsetzung der Vorschläge Baraks, Bennetts und Hendels noch katastrophaler für Israel ausgehen werden als der Abzug aus Gaza. Es gibt eine Möglichkeit, den Konflikt mit den Palästinensern zu beenden. Diese Möglichkeit heißt Verhandlungen.

Und ja, es ist schon versucht worden und wir haben doch immer noch kein Friedensabkommen erreicht. Das bedeutet aber nicht, es wäre unmöglich. Die Historiker, die uns sagen, dass die Vergangenheit die Zukunft bestimme, kennen in Wirklichkeit die Zukunft ja auch nicht besser als sonst irgendjemand. Ihr Argument dagegen, einen dauerhaften Zustand auszuhandeln, gilt nicht.

Ja, es wird schwierig, aber es ist nicht unmöglich.

Diejenigen die eine dauerhafte Interims-Vereinbarung vorschlagen, sollen bitte einmal genau erklären, was wir bisher gehabt haben! Wir hatten eine 20 Jahre dauernde Interims-Vereinbarung, die ursprünglich nur für fünf Jahre gedacht war. Es gibt weder Platz noch Zeit für eine weitere Interims-Vereinbarung. Die Zeit ist gekommen, dass die Führer Entscheidungen über die Kernthemen treffen müssen. Verhandlungen können erfolgreich sein, aber das heißt, wir müssten uns dafür entscheiden, dass wir intensiv, mit Hingabe, Engagement und politischem Willen Verhandlungen führen müssen, um eine Vereinbarung mit der anderen Seite zu erreichen. Mit gutem Willen und Integrität verhandeln bedeutet, dass wir nicht die Verhandlungen verlassen, nachdem wir der anderen Seite mitgeteilt haben: „Dies ist das beste Angebot, das ihr bekommen könnt – nehmt es an oder lasst es“, wie wir es 2000 in Camp David gemacht haben und wie Olmert es 2008 gemacht hat.

Wir können mit unilateralen Aktionen die Langzeit-Interessen Israels nicht schützen, wohl aber dadurch, dass wir eine Vereinbarung über zwei Staaten für zwei Völker schließen, denn damit würden wir dem Konflikt ein Ende setzen.

Aus dem Englischen von Ingrid von Heiseler

Gershon Baskin ist Autor des Aachener Friedensmagazins www.aixpaix.de. Seine Beiträge finden Sie hier

Dokumentation: Die „Genfer Initiative“ (auch als "Genfer Vereinbarung" bezeichnet) im Wortlaut. Die deutsche Übersetzung fertigte aixpaix.de-Autor Reiner Bernstein, der damals in Deutschland die Genfer Initiative repräsentierte.


World Wide Web aixpaix.de

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