Andreas Buro

Neun Thesen zum aktuellen ägyptischen Konflikt

8. Juli 2013

1. Angeführt durch die USA hat der Westen in diesem internen und gleichzeitig internationalen Konflikt in seinem Sinne einen glänzenden Sieg errungen. Das ägyptische Militär hat seine Führungs- und Schlüsselrolle mit einer breiten Zustimmung aus der Gesellschaft zurückerobern können. Keine Zivilregierung kann ihm diese Rolle mehr streitig machen. Sie wird von der Zustimmung des Militärs, das als Organisator des Sturzes des gewählten Bruderschaft-Präsidenten von den meist als demokratisch bezeichneten Kräften bejubelt wird, in allen wesentlichen Entscheidungen abhängig sein und für alle Fehlentwicklungen verantwortlich gemacht werden. In Zeiten des britischen Imperiums nannte man das Indirect Rule.

2. Saudi-Arabien und die United Arab Emirates haben dem Putsch zugestimmt und gratuliert. Saudi-Arabien, das als Unterstützer von Al Kaida gilt, sah die Bruderschaft als eine große Gefahr für die eigene Herrschaft an. Katar, das die Bruderschaft in Ägypten finanziell massiv unterstützte, hat unter seiner neuen Führung – des neuen Emirs Scheich Tamim bin Hamad Al Thani einen Kurswechsel in Richtung auf die Haltung Saudi-Arabiens vorgenommen. Eine wichtige internationale Opposition gegen den Putsch gibt es nicht. – Interessanterweise saßen bei den Ankündigungen des neuen starken Mannes, General Sisi, über den Sturz von Präsident Mursi nicht nur Hohe Geistliche der Moslems und der Kopten neben El Baradei auf dem Podium, sondern auch ein Vertreter der Salafisten.

3. Freilich treten westliche Politiker, wie Westerwelle, mit Bedenken auf, dass ein demokratisch gewählter Präsident weggeputscht worden ist. Er hat damit sogar Recht, denn das demokratische Prinzip wurde damit schwer diskreditiert. Mir scheint jedoch, solche Klagen sind eher taktische Manöver, um die Empörung über den Putsch zu besänftigen. Da wird Legitimes gegen Legales gehandelt. Politische Folgen haben solche Erwägungen jedenfalls nicht.

4. Dazu, dass diese Konstellation eintreten konnte, haben Präsident Mursi und die Muslimische Bruderschaft wesentlich beigetragen. Sie haben auf Machtsicherung für die Bruderschaft in allen Bereichen gesetzt, wobei die Interessen und Hoffnungen der damaligen Oppositionskräfte missachtet wurden. Statt einer breiten Bündnispolitik, die auf Koexistenz der heterogenen Gesellschaft zielte, war Konfrontation angesagt. Dazu kam Unerfahrenheit in Regierungsgeschäften, eine Unterschätzung der tatsächlichen Machtbasis der Regierung und am allerschlimmsten: Die wirtschaftliche und soziale Situation konnte – wie wäre es auch möglich gewesen – nicht verbessert werden, sondern verschlechterte sich rasant. Bei vielen ehemaligen Bruderschafts-Anhängern verlor die Perspektive Der Islam ist der Weg ihre Überzeugungskraft. Das hohe Ansehen der Bruderschaften durch ihre soziale Basisarbeit wurde schwer beeinträchtigt.

5. Der Putsch ist anders als damals 1991 in Algerien und später bei den Palästina-Wahlen 2006 gegenüber der Hamas sehr viel besser fundiert (s.o.) Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang an das grausame algerische Drama ab 1991. Die damaligen Wahlen gewann die islamische Heilspartei (FIS). Die westlichen Hegemonialmächte waren über das demokratische Wahlergebnis nicht begeistert und unterstützten das algerische Militär. Dieses wollte das Wahlergebnis nicht hinnehmen, annullierte die Wahlen, löste das Parlament auf, verkündete den Notstand und verbot die FIS. Die islamischen Kräfte sahen sich um ihren demokratischen Erfolg betrogen und gingen in den Untergrund. Der folgende Bürgerkrieg kostete das Leben von 100.000 bis 200.000 Menschen Algeriens. Die Diktatur ist bis heute erhalten geblieben. Vielleicht kann im jetzigen Fall Ägypten der Bürgerkrieg durch die breite innergesellschaftliche Unterstützung vermieden werden.

6. Ich hege große Skepsis gegenüber der optimistischen Annahme , die immer wieder aus den Reihen der sogenannten demokratischen, islamischen bis säkularen Kräfte geäußert wird, eine zivile Regierung könne die Vorherrschaft des Militärs überwinden und eine demokratische Entwicklung einleiten. Ich befürchte vielmehr, dass die jetzige Euphorie dieser Kräfte zu einer Unterwerfungshaltung bei großen Teilen führen können, die unter Mubarak bereits so wirkungsvoll ausgebildet war. Dazu kommen die riesigen ökonomischen und sozialen Probleme, die keine Regierung schnell bewältigen kann. Da dies nicht den Erwartungen entsprechend zu schaffen ist, dürfte die nächste Repressionswelle nicht lange auf sich warten lassen. Das wird aktuell an den Medien der Bruderschaft und an Verhaftungen von Bruderschaft-Funktionären vorexerziert.

7. In diesem Sinne erwarte ich, eine Politik aus Kairo, die versucht den liberaleren Teil der Bruderschaften für eine Unterstützung oder gar Beteiligung an der zu bildenden Regierung zu gewinnen, während der konservativere Teil zur Verfolgung freigegeben wird. Freigegeben werden nach einiger Zeit vermutlich auch die hartnäckigen politischen Freigeister, welche die neue Machtkonstellation weiter kritisieren.

8. Wie oben schon angedeutet, ordne ich den ägyptischen Konflikt unter internationalen Konfliktmustern ein. Dabei spielt eine große Rolle, das Feindbild Islamismus nicht nur aufrecht zu erhalten, sondern auch zu verschärfen. Dazu werden immer wieder die Ängste der Menschen vor einer islamischen Überfremdung instrumentalisiert. Daher erwarte ich nicht, dass vom Westen her substantielle Initiativen zu einer Politik der Koexistenz der unterschiedlichen gesellschaftlichen und religiösen Kräfte ausgehen werden.

9. Entscheidend für die Zunft Ägyptens wird sein, ob der gegenwärtig in vielen Ländern der Welt herrschende Konflikt zwischen dem Westen und islamischen Kräften, Ägypten aufgeherrscht wird oder ob es gelingt, im Nil-Land einen Ausgleich zwischen liberalen und stärker religiösen islamischen Strömungen zu erreichen, an dem auch die religiösen Minderheiten beteiligt sind? Gelänge dies, so würde nicht nur für Ägypten sondern auch für viele andere islamisch geprägte Länder ein Tor geöffnet, um ihre riesigen sozialen und wirtschaftlichen Probleme konstruktiv anzugehen. Einen solchen Prozess gegen alle islamistischen Feindbilder aus der westlichen Welt zu unterstützen, ist gegenwärtig die Aufgabe der auf Frieden und zivile Konfliktbearbeitung drängenden Kräfte.

Andreas Buro ist Autor des Aachener Friedensmagazins aixpaix.de. Seine Beiträge sehen Sie hier


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