Karl Grobe

Hintergründe zum militärischen Engagement Russlands und der USA in Syrien

08.10.2015

Seit Regierungstruppen Mitte März 2011 mit unverhältnismäßiger Gewalt in Deraa gegen Jugendliche vorgingen, die verbotene, weil revolutionär klingende, Worte auf eine kahle Wand appliziert hatten, witterten die Washingtoner Planer eine Gelegenheit. Hier hatte sich spontan eine Protestwelle entwickelt, hier konnte das Muster der „Arabellion“ angewandt werden: Kräftige, aber nicht unbedingt sichtbare Förderung einer Volksbewegung, um in Syrien nachzuspielen, was in Tunesien und Ägypten so gut gelungen schien.

Die propagandistische und dann auch materielle Unterstützung ließ sich eingängig begründen als Hilfe zum Aufbau der Demokratie. Dahinter steckten weniger appetitliche Ziele.

Im Nachbarstaat Irak war es unmittelbar um den Zugriff auf sehr ergiebige Ölquellen gegangen. Keine Lappalie; Irak verfügt hinter Saudi-Arabien über die weltweit größten Erdölreserven, gut zehn Prozent der Weltreserven. Unter der Baath-Regierung waren sie verstaatlicht worden, Saddam Hussein hatte sie 1972 den Konzernen BP, CFP, Exxon, Mobil und Shell weggenommen. Darum ging es dann auch 2003, nicht um Demokratie oder Menschenrechte; was Propagandisten hinter hochtönenden Parolen verbergen, wusste schon Theodor Fontane: „sie sagen ,Christus’ und meinen Kattun.“

Den USA waren zwei wichtige Verbündete in den siebziger Jahren abhanden gekommen: Irak, ein allerdings unsicherer Kantonist, durch die Baathisten; Iran 1979 durch die Islamische Revolution. Im Nahen und Mittleren Osten konnte Washington sich nur noch auf zwei Freunde verlassen: Israel und Saudi-Arabien. Die Kontrolle über die erdölreichste Region der Erde war in Gefahr. Jimmy Carter hatte 1980 gewarnt: „Jeder von einer fremden Macht unternommene Versuch, Kontrolle über den Persischen Golf zu erlangen, wird als Angriff auf die lebenswichtigen Interessen der Vereinigten Staaten von Amerika gewertet. Ein solcher Angriff wird mit allen erforderlichen Mitteln, einschließlich militärischer Gewalt, abgewehrt werden.“ Klare Worte; falls jemand die Eisenhower-Doktrin vom März 1957 vergessen haben sollte: In Zukunft werde das Öl des Nahen Ostens, nicht allein durch moralische Beschlüsse der Vereinten Nationen, sondern auch mit amerikanischen Waffen verteidigt werden. Indes: Der Präsident erwähnte die kommunistische Gefahr, nicht die Bodenschätze.

Nicht viel anders im Fall Syrien. Es handelt sich nicht um die hehren Werte, wie sie in den Gründungsdokumenten der UN formuliert sind. Es handelt sich um die Hegemonie in der Region. Der widerstand Syrien als Verbündeter Irans, Stütze der Hisbollah in Libanon (die Hisbollah ist einerseits eine effektive politische Partei, andererseits eine militärische Macht), Heimat einer nicht unwichtigen kurdischen Minderheit – und bis vor vier Jahren der (neben der Türkei) stabilste Staat der Region.

Die Destabilisierung setzte nach den Vorfällen von Deraa ein. Die Proteste zu aktivieren lag im Interesse der Amerikaner wie der Saudis; ging es Washington zunächst darum, das Regime der Baath-Partei (konkret: der alawitisch dominierten Halbdiktatur des Baschir al-Assad) auszuhebeln, so trachteten Saudis und Petrofeudalisten von der Golfküste nach Rückendeckung für die sunnitische Opposition in Bagdad. Aus der Finanz- und Waffenhilfe für kleinere Gruppen entwickelte sich der „Islamische Staat (IS) in der Levante“, später: das „Kalifat“.

Nun sehen sich die USA zum Umschwenken genötigt. Hatten sie zunächst unter Ausschluss der Öffentlichkeit geholfen, die verschiedenen islamistischen Milizen (Sekten) aufzurüsten, so gefährdet das „Kalifat“ nun ihre Interessen als militante, terroristische Kraft, deren Aufkommen den arabischen Despotien nützen, deren Bindung an Washington lockern und damit das in Frage stellen könnte, was Gegenstand der Doktrinen Eisenhowers und Carters (und natürlich der Bushs) war. Um nicht noch mehr Einfluss einzubüßen, akzeptieren die amerikanischen Strategen taktische Zusammenarbeit mit Assad wie mit Iran. Ihr Zähneknirschen ist unüberhörbar.

Das größere strategische Ziel bleibt gleichwohl die regionale Hegemonie – als Teil des „Neuen Großen Spiels“, das der Geopolitiker Zbigniew Brzezinski und die Autoren des Project for a New American Century (PNAC; da sind die Köpfe versammelt, die für George W. Bush geplant und regiert haben) gemeinsam ersonnen haben. In diesem Spiel sollen die Mitspieler aus der Mannschaft Erdogans nicht verprellt werden; den neuen massiven Kriegshandlungen gegen Kurden in Ostanatolien, Nordirak und Nordsyrien widersprechen amerikanische Militärs und Diplomaten nur leise. Der Stützpunkt Incirlik ist wichtiger als die Selbstbestimmung in Kobane.

Aus dem Kreml nimmt sich das alles höchst bedenklich aus. Den USA die Bekämpfung des „Kalifats“ allein oder gemeinsam mit anderen Nato-Staaten zu überlassen kommt für die russischen Planer nicht infrage. Die russlandinternen islamistischen Aufstände glimmen ja noch; das „kaukasische Emirat“ ist noch da; und die Hunderte, vielleicht Tausende Jihadisten aus dem Kaukasus – Tschetschenien, Dagestan, die Tscherkessengebiete – könnten eines unschönen Tages zurückkehren. Die russische Politik geht da mit der amerikanischen konform.

Aber Russland ist auch Partner des Assad-Regimes. Erstens als Gegengewicht gegen die in der Türkei präsente Nato, die in Irak präsenten USA und als Partner Irans (wobei Teheran die Nähe Russlands umso mehr sucht, als die konservative Fraktion in den USA und deren israelische Freunde auf Konfrontation gehen).

Zudem denken Russlands Außenpolitiker durchaus strategisch. Die globalstrategischen Ziele „des Westens“ werden nicht ohne Grund im Zusammenhang gesehen: Ost-Erweiterung der Nato und der EU, Intervention im Nahen Osten, mögliche Kooperation mit asiatischen Mächten erscheinen dann als Bestandteile einer weltweiten Einkreisung. So steht es ja auch in den Papieren des PNAC und in Brzezinskis Büchern.

Die Zusammenarbeit Moskaus mit Washington ist also ganz und gar nichts Stabiles. Sie folgt militärischer Opportunität, wie sie dem jeweils eigenen strategischen Interesse entspringt. Es ist ratsam, über diese Beschränkung hinauszugehen und auf eine gemeinsame Friedenspolitik hinzuwirken. Darin ist die Damaszener Regierung (Assad) einzubeziehen; eine dauerhafte Konfliktlösung kann darüber hinaus nur möglich werden, wenn sie auch die irakische, die iranische und die arabischen Regierungen einbezieht – und die von den Regierungen nicht vertretenen Gruppen, Bewegungen und Völker, besonders die Kurden.

Karl Grobe ist Autor des Aachener Friedensmagazins aixpaix.de. Er war leitender außenpolitischer Redakteur der Frankfurter Rundschau.


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