Otmar Steinbicker

Die Nato sollte am Hindukusch nicht wieder in die altbekannte Sackgasse stolpern

Aachener Nachrichten, 01.07.2017

Otmar Steinbicker, Foto: Beate Knappe

Die Nato plant aktuell eine Verstärkung ihrer Truppen in Afghanistan. Statt bisher etwas mehr als 12 000 Soldaten sollen dort künftig rund 15 800 Soldaten vor allem zur Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte eingesetzt werden. Davon wollen die USA ihre Truppen um bis zu 3000 Soldaten aufstocken, Großbritannien um 400. Ob auch Deutschland zusätzliche Soldaten stellt, ist derzeit noch unklar.

Begründet wird die Maßnahme mit der dramatischen Verschlechterung der Sicherheitslage in Afghanistan. Die Zahl der Anschläge nahm in jüngster Zeit zu, die Zahlen der Todesopfer und der Verwundeten stiegen an. Angesichts der militärischen Schwäche der derzeitigen afghanischen Regierung haben vor allem die aufständischen Taliban deutliche Geländegewinne erzielt. Doch längst ringen nicht nur die Taliban um die Macht im Lande. Auch der sogenannte „Islamische Staat“ (IS) mischt mit und ebenso dürften die Geheimdienste der Nachbarländer Pakistan und Iran die Hände mit im Spiel haben.

Seit 1978, also seit knapp 40 Jahren, herrscht ununterbrochen Krieg in Afghanistan mit wechselnden Bürgerkriegsfronten und unterschiedlichen ausländischen Truppen, seit 2001 auch mit Beteiligung der Bundeswehr. Es war die bittere Erfahrung von zwölf Jahren eines nicht gewinnbaren Krieges, die bei der Nato zum Abzug der wesentlichen Kampftruppen Ende 2013 führte. Damals verlor der Krieg an Intensität, wurde aber nicht beendet. Jetzt will die Nato offenbar erneut in die bekannte Sackgasse stolpern.

Was kann und was sollte Deutschland angesichts dieser Situation tun? Sich heraushalten und die verbliebenen Soldaten abziehen oder doch wieder mehr Soldaten schicken? Eine solch reduzierte Fragestellung würde nicht auf eine Lösung des Konfliktes zielen. Wird der komplexe politische Konflikt aber nicht gelöst, dann droht eine Ausweitung bis in die zentralasiatischen Republiken.

Ein Ende des Krieges und eine Lösung des Konflikts in Afghanistan ist militärisch nicht möglich. Das haben fast 16 Jahre westlicher Kriegführung in aller Deutlichkeit gezeigt.

Die Konsequenz aus dieser Erkenntnis kann nur die Suche nach einer politischen Lösung bedeuten. Eine solche war bereits im August 2010 zum Greifen nahe, nachdem Nato-Offiziere aus Deutschland, Großbritannien und den USA in diskreten Gesprächen mit hohen Talibanführern in Kabul gemeinsam die Grundzüge einer solchen Lösung skizziert hatten. Leider wurde dieser Lösungsversuch politisch abgewürgt. Es gab bis 2014 Versuche der Taliban, mit der Bundesregierung in Kontakt zu kommen, um das Gesprächsformat von 2010 wieder aufzunehmen, doch diese blieben ohne Resonanz.

Ist eine diplomatische Lösung heute noch möglich? In den letzten Jahren hatte es nach dem Tod des Talibanführers Mullah Omar Nachfolgekämpfe unter den Aufständischen gegeben und Ansätze politischer Gespräche, die es noch 2015 in Norwegen und China unter Teilnahme der Taliban gab, wurden von diesen eingestellt. Ein politischer Kurs blieb unklar.

Deutschlands hohes Ansehen

Vor wenigen Tagen meldete jedoch die britische Nachrichtenagentur Reuters, dass der neue Talibanführer Mullah Haibatullah Akhundzada in einer Botschaft zum Ende des Ramadan Verhandlungsbereitschaft signalisierte, und die „Neue Zürcher Zeitung“ verwies auf bereits bestehende diplomatische Kontakte Chinas und Russlands zu den Taliban. Auch Außenminister Sigmar Gabriel erklärte, man müsse mit den Taliban reden, ohne jedoch konkreter zu werden.

Deutschland genießt in Afghanistan historisch ein hohes Ansehen. Das gilt für die Regierung wie für die Taliban. Dieses Ansehen hat trotz deutscher Kriegsbeteiligung kaum gelitten. Damit hat die deutsche Diplomatie gegenüber anderen einen Vertrauensvorschuss, den sie zur Lösungssuche einsetzen kann. Voraussetzung ist eine Weichenstellung der Bundesregierung mit dem Ziel, gemeinsam mit den Konfliktparteien eine Friedenslösung zu finden. Nach den Erfahrungen des sinnlosen Afghanistankrieges kann die Ultima Ratio nur Diplomatie heißen.

Otmar Steinbicker ist Herausgeber des Aachener Friedensmagazins www.aixpaix.de. Seine Beiträge finden Sie hier


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