Otmar Steinbicker

Abrüsten! Oder die Atomwaffen schaffen uns ab.

Aachener Nachrichten, 02.10.2019

Otmar Steinbicker, Foto: Beate Knappe

Der knapp 25.000 Zeichen lange Beitrag der namhaften US-Militärwissenschaftler Adam Lowther und Curtis McGiffin vom 16. August 2019 im Fachmedium warontherocks.com argumentiert kühl, sachlich und prägnant und plädiert am Schluss für nicht mehr und nicht weniger, als das Schicksal der Menschheit im Falle eines drohenden Atomkrieges in die Hände von Computern mit „künstlicher Intelligenz zu legen.

Adam Lowther lehrt am Louisiana Tech Research Institute und arbeitete lange als Regierungsberater in Fragen der Atomkriegsstrategie, Curtis McGiffin lehrt am Air Force Institute of Technology und an der Missouri State University strategische atomare Abschreckungstheorie. Beide sind anerkannte Experten.

Ihre These ist so simpel wie überzeugend: Brauchten in den 1950er Jahren Flugzeuge mit Atombomben noch Stunden Flugzeit zwischen den USA und der UdSSR, so waren es im Raketenzeitalter nur 30 Minuten bei landgestützten und 15 Minuten bei U-Boot-gestützten Atomraketen. Doch das sei längst Schnee von gestern. Künftig bräuchten atomare Hyperschallwaffen nur noch wenige Minuten zwischen Start und todbringendem Einschlag. Da gäbe es keinerlei Möglichkeiten mehr zu verifizieren, ob die Gegenseite überhaupt einen Angriff mit Atomwaffen gestartet hat und dann vom Präsidenten entscheiden zu lassen, ob mit einem atomaren Gegenschlag geantwortet werden soll. Also bliebe nur die Möglichkeit, auf künstliche Intelligenz zu setzen, die schnell genug prüfen und dann auch über einen Kriegseinsatz mit Atomwaffen entscheiden kann. Dass eine solche Computerentscheidung auch eine Fehlentscheidung sein kann, wird von den Autoren ausdrücklich gesehen und anerkannt.

Dass ein durch Fehlarm ausgelöster vermeintlicher Zweitschlag de facto ein Erstschlag wäre, der von der Gegenseite mit einem Zweitschlag beantwortet würde, bleibt ebenso unerwähnt wie die Tatsache, dass ein Atomkrieg bei einem folgenden Einsatz aller in den USA und Russland vorhandenen Atomwaffen die Erde für Menschen unbewohnbar machen könnte.

Die bisher bekanntesten Fehlalarme waren 1979 ein Bedienungsfehler beim US-Warnsystem, das den Anflug von sowjetischen Raketen meldete und erst nach 90 Minuten gefunden wurde. Und 1983 eine extrem seltene Sonnenspiegelung, die das sowjetische Warnsystem als Serie von US-Raketenstarts interpretierte. In beiden Fällen waren es Menschen, deren Zweifel an den Alarmmeldungen einen vermeintlichen Gegenschlag verhinderten.

Vorwarnzeit sinkt drastisch

Recht haben Lowther und McGiffin mit ihrer Feststellung der drastisch verkürzten Vorwarnzeiten, die rationale Entscheidungen kaum noch möglich macht. Diese Problematik liegt aber in der Logik der aufgekündigten Rüstungskontrollabkommen. Der Eckstein aller Abkommen zwischen den USA und der UdSSR war der 1972 abgeschlossene ABM-Vertrag, der eine Raketenabwehr weitgehend verbot und damit die gegenseitige Verwundbarkeit garantierte. Die Kündigung dieses Vertrages 2002 und der Aufbau eines großen Raketenabwehrsystems durch die USA führte in Russland zum Entschluss, mit ultraschnellen Hyperschallwaffen doch noch einen Zweitschlag als glaubwürdige Abschreckung androhen zu können. Dass in den USA die russischen Hyperschallwaffen aber auch als Waffen für einen überraschenden Erstschlag gesehen werden können und müssen, liegt auf der Hand.

Angesichts der durch die asymmetrische Atomwaffenmodernisierung beider Seiten erschwerte Rüstungskontrolle und der atomaren Aufrüstung weiterer Staaten kommt einem weltweiten Verbot aller Atomwaffen entscheidende Bedeutung zu. Der Verbotsvertrag wurde bisher von 79 Staaten unterzeichnet und von 32 ratifiziert. Neben den Atomwaffenstaaten verweigert auch Deutschland bisher die Unterschrift.

Doch angesichts der von Lowther und McGiffin aufgezeigten und empfohlenen Perspektive, die Atomkriegsentscheidung „künstlicher Intelligenz“ und damit Computern zu überlassen, gilt als Alternative in aller Schärfe: Entweder schafft die Menschheit die Atomwaffen ab. Oder die Atomwaffen schaffen die Menschheit ab.

Otmar Steinbicker ist Herausgeber des Aachener Friedensmagazins www.aixpaix.de. Seine Beiträge finden Sie hier


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Beiträge von Otmar Steinbicker
2019

Abrüsten! Oder die Atomwaffen schaffen uns ab.

Drei Faktoren, die das Ende der DDR bewirkten

Es geht nicht um Verteidigung. Es geht ums Geschäft!

Die Nato in der Krise: Konflikte müssen anders gelöst werden

Fridays for Future: Endlich haben wir eine „Generation Hoffnung“!

Atomare Rüstungskontrolle hängt an seidenem Faden

Ein Frieden in Afghanistan ist möglich

2018

Der Welt droht ein neues atomares Wettrüsten

Macron, die europäische Armee und die französische Rüstungsindustrie

Das Ende des INF-Vertrags wäre ein Spiel mit dem atomaren Feuer

Bundesregierung behält sich doppelten Verfassungsbruch vor

Ein Atomkrieg gefährdet die Menschheit! Haben wir das vergessen?

Wir brauchen eine neue Grundsatzdebatte über Sicherheitspolitik

Neue Weltordnung? Es gibt keine sinnvolle Alternative zur UNO!

Iranabkommen: keine realistische Alternative zu einem weiteren Verhandlungsweg

In Syrien verfolgen alle ausländischen Mächte eigene Interessen. Und was macht Deutschland?

Konfliktprävention? Außenminister Maas setzt auf militärische Faktoren!

Statt einer Debatte über Konfliktlösung nur Schuldzuweisungen

Deutschland und die EU sollten den Staat Palästina anerkennen

2017

Wie in Europa mit alten Methoden für eine neue Aufrüstung Stimmung gemacht wird

Es ist höchste Zeit, Misstrauen abzubauen und den Dialog mit Russland wieder aufzunehmen

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Die Modernisierung der Atomwaffenpotenziale bedroht das Gleichgewicht des Schreckens

Die Nato sollte am Hindukusch nicht wieder in die altbekannte Sackgasse stolpern

Neue Herausforderungen an den Pazifismus

Sicherheit kann nicht mehr militärisch, sondern nur noch politisch gewährleistet werden

Rede zum Ostermarsch in Kaiserslautern am 15.04.2017

Es droht eine neue Debatte über die Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen in Europa

Für eine Erhöhung der Rüstungsausgaben gibt es keine überzeugenden Begründungen

Die jüngsten Forderungen nach einer atomaren Supermacht Europa sind hochgefährlich

Wie Donald Trumps Plan, die Europäer gegeneinander auszuspielen, durchkreuzt werden kann

2016

Außer Spesen nichts gewesen? Das OSZE-Treffen fördert den Dialog und öffnet vorsichtig Türen!

Friedensbewegung darf den Begriff der Verantwortung nicht allein der Regierung überlassen

Mit der Wahl Trumps zum Präsidenten haben sich die USA als Führungsmacht verabschiedet

Die Wiederkehr der Atomkriegsdebatte

Pazifismus vor neuen Herausforderungen – Wir brauchen eine ernsthafte Zukunftsdebatte

Die völlig verfahrene Situation in Syrien erinnert an den Dreißigjährigen Krieg in Deutschland

Steinmeiers Vorstoß für eine Kontrolle der konventionellen Rüstung kommt zur richtigen Zeit

Ist die NATO im großen Luftkrieg noch angriffsfähig?

Ministerin von der Leyen gibt auf die Sinnkrise der Bundeswehr keine überzeugende Antwort

Die Debatte über den Einsatz der Bundeswehr im Innern spiegelt die Sinnkrise der Bundeswehr

Ankündigung einer sicherheitspolitischen Zeitenwende

Die Nato sendet ein martialisches Signal nach Moskau

Wie kommt die Friedensbewegung aus der Krise?

Die NATO als Sicherheitsrisiko

Unsere Zivilisation ist kriegsuntauglich geworden

Brauchen wir noch die Bundeswehr?

Nach dem Anschlag auf den Talibanführer droht der Konflikt außer Kontrolle zu geraten

Cyberwar klingt nach sauberem Krieg, ist aber hochgefährlich

Weißbuch 2016 – die Bundeswehr vor einer Neuorientierung?

Der Gedanke, dass Trump Herr über die Atomwaffen der USA werden könnte, ist unerträglich

PEGIDA, nicht die Friedensbewegung ist heute Adressat russischer Propaganda

Die Gefahr der Eskalation ist groß: Der komplexe Konflikt in Syrien muss endlich gelöst werden!

Friedenslogik: Konflikte in ihrer ganzen Komplexität betrachten

2015

Die Abgeordneten, die heute dem neuen Krieg zustimmen, handeln unverantwortlich

Ein gefährlicher Weg in einen neuen Krieg

Den IS zu bekämpfen ist eine politische Aufgabe, die nicht militärisch gelöst werden kann

Nach Jahren des Zögerns muss von der Bundesregierung eine ernsthafte Friedensinitiative ausgehen

Gedanken zur Geschichte der Friedensbewegung und zu deren aktuellen Fragestellungen

Warum Menschen fliehen

OSZE: Möglichkeiten und Grenzen des Konfliktmanagements

Von der „Charta von Paris“ zur NATO-Osterweiterung

Um Konflikte lösen zu können, muss Europa den KSZE-Gedanken endlich wiederbeleben

Zäh, schwierig, aber letztlich erfolgreich: Zusammenarbeit im UNO-Sicherheitsrat zahlt sich aus

Kubakrise – Nahe am Abgrund

Israel muss sich entscheiden

Die Karten im Nahostkonflikt werden neu gemischt

Gefährliche Blocklogik der Nato: Russland darf nicht aus dem Haus Europa ausgegrenzt werden

Die Mahnwachen – eine rechtsoffene Bewegung

Die Gefahr eines Atomkrieges ist in jüngerer Vergangenheit wieder deutlich gestiegen

Die Friedensbewegung hat keinen Grund zu verzagen, sie hat im Gegenteil gerade jetzt riesige Chancen!

Ergebnis von Minsk kann nur die grobe Richtung für eine Lösung des Ukraine-Konflikts vorgeben

„Friedenswinter“

2014

Die Lüge von der „Nachrüstung“

Leipzig 1989: „Wir sind das Volk – Montag sind wie wieder da“

Mein Zeitzeugenbericht vom 19.8.1989 an der ungarisch-österreichischen Grenze

Stehen wir vor einem Paradigmenwechsel in der Außen- und Sicherheitspolitik?

Geht es beim Marineeinsatz im Mittelmeer um den Schutz des Abtransportes syrischer Chemiewaffen?

System kollektiver Sicherheit löst Konflikte und verhindert Krieg

2013

Sicherheitspolitik im Koalitionsvertrag: Viele Sprüche, die von der Realität längst überholt sind

Vor 25 Jahren: Yüksel Seleks schwierige Heimkehr in die Türkei

Friedensbewegung kann und muss an die Erfahrungen der 1980er Jahre anknüpfen!

Was soll eine Armee tun, die unser Land nicht mehr verteidigen kann und muss?

Wann der nächste deutsche Soldat in Afghanistan sinnlos stirbt, ist lediglich eine Frage der Zeit

Kampfdrohnen setzen die Hemmschwelle zur militärischen Gewaltanwendung deutlich herab

2012

Ist ein Ende der Gewalt in Syrien mit nichtmilitärischen Mitteln denkbar?

Eine neue Runde im atomaren Rüstungswettlauf ist eingeläutet

2010

Warum die NATO im 21. Jahrhundert keinen Sinn mehr macht (Aachener Nachrichten, 26.11.2010)

2009

Die erste Bresche im Eisernen Vorhang, Reportage vom 19.08.1989 in Ungarn

Krieg ist „ultima irratio“: Sicherheit gemeinsam gestalten