Rezension

Jörg Kronauer, „Ukraine über alles!“

Von Werner Hager und Ruth Birkle

In ihrem Buch „Ukraine über alles!“ kritisieren Jörg Kronauer und Erich Später die Ukraine-Politik des Westens, der EU und insbesondere Deutschlands als „Expansionsprojekt“.

Herausragend an dem Buch ist zuerst einmal die Methode. Beide Autoren bleiben kritisch und geschichtsfundiert, beschränken sich nicht auf Feindbilder und enthalten sich jeglichen Moralisierens. Sie argumentieren klar entlang politischer und ökonomischer Interessen. Insofern ist für sie auch das Handeln des Westens eben nicht monolithisch, sondern von Brüchen durchzogen. Allerdings ist so der Untertitel eines Expansionsprojekt „eines“ Westens missverständlich.

Als Resumée ziehen die Autoren, dass das Jahr 2014 in der Ukraine rechte und faschistische Kräfte gestärkt habe. Es gilt zu analysieren, wie es hierzu kommen konnte und wie dies zukünftig vermieden werden kann.

Das Buch beginnt mit dem evangelischen Theologen Paul Rohrbach, der bereits im Kaiserreich und der Weimarer Republik als einflussreicher politischer Publizist auf Basis einer antirussischen Geopolitik die Gründung eines ukrainischen Staates propagierte.

[Zitat]„Ohne die Kohle der Ukraine können die Eisenbahnen nicht fahren, ohne ihr Eisenerz können keine Pflugscharen geschmiedet, keine Kanonen gegossen werden und ohne ihr Getreide hat das übrige Russland nicht genug Nahrung.“ (Rohrbach 1916, zitiert nach S. 12)[/Zitat]

Obwohl sich Rohrbach mit den Nazis nicht anfreunden konnte, zieht sich diese geopolitische Linie durch die spätere Außenpolitik und wurde in der Bundesrepublik fortgesetzt.

Seit 1989 begann der Aufstieg der Oligarchen auch in der Ukraine. Diese trugen jedoch die ‚multivektorale‘ Außenpolitik mit, die eine Westintegration mit der Sicherung russisch-ukrainischer Beziehungen verband.

2013/14 wurde für das Buch jedoch diese Außenpolitik an ihre Grenzen gestoßen, als vor allem Deutschland und die USA versuchten, die Ukraine fest in ihre Hegemonialsysteme einzubinden, und damit die Schwächung Russlands von 1991 fortsetzten.

Im folgenden wird diese Entwicklung nachvollzogen. Von der Geschichte der Ukraine, des Nationalismus in der Ukraine, den geopolitischen Expansionsbestrebungen westlicher Mächte, der Erstarkung der ukrainischen Rechten und deren Rolle bei den Majdan-Protesten, der gleichzeitigen Marginalisierung Linker und AnarchistInnen bis zum Agieren der westlichen Regierungen 2014.

Diese Analyse ist gleichzeitig ein Vorwurf an diese Regierungen, aber auch die übrigen politischen Kräfte im Westen, deren falsche Analysen die Basis für die Eskalation liefern. Ohne einen auf auf Aufklärung basierenden Freiheitsanspruch entsteht eine Politik, die vor einem Pakt mit FaschistInnen nicht zurückschreckt. Auch auf linker Seite ist der Handlungsimpuls nicht die Thematisierung der zugrunde liegenden Konflikte zwischen Arbeit und Kapital, sondern ein Schutz der nationalen Bourgeoisie, deren Selbstverteidigung faschistische Formen annimmt. Der aktuell ausgetragene Bürgerkrieg entlastet dabei auch die Regierung in Kiew, da er die sich abzeichnende ökonomische Katastrophe noch verdrängt.

Die falsche Analyse korrespondiert mit einer kurzsichtigen Interessensorientierung der westlichen Außenpolitik und setzt auf gefährliche Maßnahmen, während Russland durchaus darauf verweisen kann, beispielsweise im Nahen Osten die Entwicklung vorhergesehen zu haben.

Hier sehen wir einen deutlichen Unterschied zur innerhalb Linker und Friedensbewegter verbreiteten prorussischen Stimmung, die nicht die russische Analysefähigkeit, sondern die russische Politik wertschätzt. In den Internationalen Beziehungen beziehen die Autoren Standpunkt für die Rationalität. Die Friedensbewegung benötigt wieder diesen Vernunftanspruch.

Das Buch ist brandaktuell, das letzte Kapitel bezeichnet sich daher auch als „Zwischenbilanz und Ausblick“. Eine Leseempfehlung, die sich auch zum Weiterreichen anbietet. Ein Manko ist allerdings das Fehlen eines Stichwortregisters.

Jörg Kronauer: „Ukraine über alles!“. Ein Expansionsprojekt des Westens, Reihe konkret texte 66, Hamburg [Dezember] 2014.


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