Projekt Münchhausen

Hannes Wader

Es ist an der Zeit

Weit in der Champagne im Mittsommergrün,
dort wo zwischen Grabkreuzen Mohnblumen blühn,
da flüstern die Gräser und wiegen sich leicht,
im Wind der sanft über das Gräberfeld streicht.

Auf deinem Kreuz finde ich toter Soldat,
deinen Namen nicht, nur Ziffern und jemand hat die Zahl 1900 und 16 gemalt und du warst nicht einmal 19 Jahre alt.

Ja auch dich haben sie schon genauso belogen, so wie sie es mit uns heute immer noch tun.
Und du hast ihnen alles gegeben, deine Kraft, deine Jugend, dein Leben.

Lügengeschichte des Monats Juli 2015

Gabi Bieberstein

Krieg gegen Gaza 2012: Falsches Bild der Gewaltspirale

Die israelische Regierung bezeichnete ihre Großoffensive auf den Gazastreifen im November 2012 als „Operation Wolkensäule“ oder als „Operation Säule der Verteidigung“. Dabei wurden 191 Palästinenser im Gazastreifen durch die IDF (israelische Armee) getötet, darunter 48 Kinder, 12 Frauen und 20 ältere Leute. Die große Mehrheit waren Zivilisten.1 Auf israelischer Seite wurden sechs Armeeangehörige von Palästinensern getötet,2 1.492 Palästinenser wurden verletzt, darunter 533 Kinder und 254 Frauen und 103 Ältere,3 - ca. 3.000 obdachlos4.

Israels „Recht auf Selbstverteidigung“ - ein überragender Propagandasieg

Einer der überragenden Propagandasiege der israelischen Regierung besteht darin, dass große Teile der israelischen Öffentlichkeit wie auch die Mehrheit der westlichen Regierungen und Medien Israel als Opfer der Palästinenser akzeptiert haben. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte: „Israel hat das Recht und die Pflicht, seine Bevölkerung in angemessener Weise zu schützen“, verantwortlich für den erneuten Ausbruch der Gewalt seien die Palästinenser.5

Wer hat angefangen?

Selten erwähnt wurde in den westlichen Medien, dass die IDF vor dem palästinensischen Angriff auf den israelischen Militärjeep am 5. November den 23 Jahre alten Ahmad Nabhani im Gaza-Streifen tötete und am 6. November den 13 Jahre alten Ahmad Abu Dagga, während er Fußball spielte.6 Nach dem Angriff auf den Jeep am 10. November tötete die IDF weitere vier Zivilpersonen im Alter von 16–19 Jahren.

Wenig zu lesen war auch darüber, dass nach den massiven Bombenangriffen auf Gaza zum Jahreswechsel 2008/2009, bei denen 1.397 Palästinenser ihr Leben verloren7, insgesamt weitere 314 Palästinenser, davon 270 im Gazastreifen getötet wurden.8 Im gleichen Zeitraum wurden 17 Israelis von Palästinensern getötet.9

Warum hat die israelische Regierung Gaza bombardiert?

Die gezielte Tötung von Ahmed al-Dschabari, dem Militärchef der Hamas, am 14. November kann nur als geplante Eskalation der israelischen Regierung interpretiert werden. Denn dieser hatte mit dem israelischen Friedensaktivisten Gershon Baskin ein Abkommen vorgeschlagen, wodurch sowohl die Gewalt gegen Gaza wie auch der Abschuss von Kassamraketen auf Israel langfristig beendet würde.10 (Gershon Baskin hatte sich bereits als Vermittler der Freilassung des israelischen Soldaten Gilat Shalit im Austausch für die Freilassung von palästinensischen Gefangenen einen Namen gemacht.)

Gaza ist Test- und Trainingsgebiet für israelische Waffen und für die IDF. Generalmajor Yoav Galant bezeichnet Gaza als eine „ideale Trainingszone“.11 Dies hat den Aufstieg Israels zum viertgrößten Waffenexporteur der Welt mit begünstigt. 150.000 Haushalte hängen an der Waffenindustrie. Es stellt sich außerdem die Frage, ob auch die dreiwöchige amerikanisch-israelische Militärübung namens „Austere Challenge 2012“ in diesem Zusammenhang zu sehen ist. Bei diesem bisher größten gemeinsamen Manöver ging es um das Zusammenwirken der Streitkräfte beider Länder bei der Abwehr von Raketenangriffen auf Israel. Die „Operation Wolkensäule“ bildete praktisch den Abschluss dieser Militärübung. Und die in diesem Zusammenhang auf Israel abgeschossenen Kassamraketen bildeten den ersten Praxistest des neuen israelischen Luftabwehrsystems „Iron Dome“.12

Israel hat Expertise für asymmetrische Kriegsführung. Deswegen eignen sich die Waffen und militärischen Erfahrungen für alle Arten von Aufstandsbekämpfung und insbesondere auch für Armenghettos. Ein israelischer Sicherheitsberater rechtfertigt den Einsatz gegen die Armen in den Slums (Favelas) in Brasilien: „In Orten wie in Gaza haben wir dieselbe Situation.“ Der „Complexo do Alemão“, eine Favela in Raum Rio de Janeiros, wird in Kreisen der Militärpolizei auch „Gazastreifen“ genannt.

Eli Yishai – bis Mai 2013 israelischer Innenminister – forderte, „Infrastruktur, öffentliche Gebäude und Regierungsgebäude“ müssten zerstört werden. Ziel der Operation sei, „Gaza ins Mittelalter zurückzuschicken“.13 Verkehrsminister Israel Katz rief auf, Gaza so schwer zu bombardieren, „dass die gesamte Bevölkerung nach Ägypten flieht“.14 Die Einstellung mancher führender israelischer Politiker zeigt auch die folgende Aussage des israelische Wirtschaftsministers und Chefs der rechten Jewish Home Party, Naftali Bennet, während einer Diskussion im Kabinett über die Freilassung von 104 palästinensischen Gefangenen: „Wenn ihr Terroristen gefangen nehmt, habt ihr sie einfach zu töten.“ Als ihm der Nationale Sicherheitsberater Yaakov Amidror daraufhin sagte, dass dies illegal sei, erwiderte Bennett: „Ich habe bereits viele Araber getötet in meinem Leben und damit gibt es absolut keine Probleme.“15

Befand sich Israel im Kriegszustand mit Gaza?

Nach Aussage von Richard Falk, dem UN-Sonderberichterstatter für die Menschenrechte in Palästina, besitzt die Behauptung der israelischen Regierung, dass sie sich im Kriegszustand mit der Hamas befände, keinerlei rechtliche Grundlage, da es sich um eine Besatzungsmacht handelt.16 „Vom Standpunkt des internationalen Rechts beendete der vorgebliche Abzug aus Gaza nicht Israels Verantwortung als Besatzungsmacht unter der Genfer Konvention, und sein Masterplan zur Unterwerfung der gesamten Bevölkerung Gazas unter strenge Formen kollektiver Bestrafung läuft somit auf ein fortgesetztes Verbrechen gegen die Menschlichkeit hinaus und stellt darüber hinaus eine flagrante Verletzung von Artikel 33 des 4. Zusatzprotokolls der Genfer Konvention dar.“17

Selbstverteidigungsrecht der Palästinenser

Wie bereits erläutert, war der palästinensische Angriff auf den israelischen Militärjeep nicht die erste Kampfhandlung. Unabhängig davon kann sich ein Staat, der fremdes Gebiet seit Jahrzehnten völkerrechtswidrig besetzt und die Menschen unterdrückt, nicht auf Selbstverteidigung berufen, wenn er deswegen Widerstand erfährt. Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang, dass selten vom Selbstverteidigungsrecht der Palästinenser gesprochen wird, obwohl gerade sie gegenüber dem Staat Israel gemäß Völkerrecht ein Selbstverteidigungsrecht haben – selbstverständlich kein Recht Zivilisten anzugreifen. Das Recht auf Widerstand gegen Fremdherrschaft findet sich in vielen Resolutionen der UN-Generalversammlung. Trotz der völkerrechtlichen Legitimität des bewaffneten Kampfes gegen Unterdrückung war und ist der größte Teil des palästinensischen Widerstands gewaltfrei.18 Darüber wird in westlichen Medien jedoch selten berichtet.

Kampfhandlungen gegenüber Zivilisten

Kampfhandlungen gegenüber Zivilisten verstoßen gegen das Völkerrecht – dies gilt in gleicher Weise für Staaten wie für Befreiungsbewegungen und andere politische Gruppen. Es handelt sich um Terrorismus. Nach dieser Definition verüben die Hamas wie auch andere Gruppen in Gaza terroristische Handlungen. Was betreibt die israelische Regierung? Die IDF hat vor kurzem erneut bestätigt, dass die Soldaten scharfe Munition gegen Palästinenser verwenden dürfen, wenn sie dies als angemessen ansehen.19 Auch in der Vergangenheit ist es fast nie zu einer Anklageerhebung gegen einen Soldaten diesbezüglich gekommen; es herrscht praktisch Straflosigkeit.20 Das gleiche gilt auch für den Terrorismus von jüdischen Siedlern gegenüber Palästinensern, der weitgehend vom Staat geduldet wird.21 Was die Soldaten in der Westbank anbelangt, so fordern Eli Yishai und Shaul Mofaz, ein führender Politiker der Kadima-Partei, sogar noch schärfere Bestimmungen und maximale Gewalt gegenüber Palästinensern.22

Das falsche Bild von der Gewaltspirale

Es ist völlig falsch, wenn – wie häufig in den Medien – von einer Gewaltspirale im Nahen Osten gesprochen wird. Die Ursache jeglicher Gewalt in der Region liegt in der völkerrechtswidrigen Besatzung Palästinas. Dies sagt auch Michel Sabbah, der emeritierte römisch-katholische Patriarch von Jerusalem, und verurteilt die Heuchelei der Weltgemeinschaft im Gaza-Konflikt. „Solange die Grundfrage im israelisch-palästinensischen Konflikt nicht gelöst ist, sind all die Schreie, die immer dann ausgestoßen werden, wenn die Temperatur in Gaza oder andernorts steigt, reine Heuchelei", sagte Sabbah der katholischen Zeitung „Die Tagespost“. "Eine Heuchelei, der wir überdrüssig sind.“23 Grundfrage des Konflikts sei die Dauer der israelischen Besatzung. Es gebe genug UN-Resolutionen, um den Konflikt zu lösen, aber niemand wage es, sie umzusetzen.

Weiterführende Hinweise

Wer sich intensiver mit Palästina und Israel beschäftigen möchte, findet hier weitere Informationen.24

1 HRW: “Israel Violated International Law During Gaza War”, International Middle East Media Center (IMEMC), 14. Feb. 2013, http://www.imemc.org/article/65050, 25.06.2015.

2 B’Tselem, http://www.btselem.org/statistics/fatalities/after-cast-lead/by-date-of-event, 25.06.2015.

3 HRW: “Israel Violated International Law During Gaza War”, a. a. O.

4 UN: 120 houses destroyed, 3000 displaced during latest Israeli attack on Gaza, Mondoweiss, 7. Dez. 2012, http://mondoweiss.net/2012/12/un-120-houses-destroyed-3000-displaced-during-latest-israeli-attack-on-gaza.html, 25.06.2015.

5 Gaza-Konflikt Israels Kabinett genehmigt Einberufung von 75.000 Reservisten, Süddeutsche Zeitung 16. Nov. 2012, http://www.sueddeutsche.de/politik/gaza-konflikt-israel-will-reservisten-mobilisieren-1.1524807, 25.06.2015.

6 Israels letzter Überfall auf Gaza: die Lüge, wer angefangen hat, die Freiheitsliebe 15. Nov. 2012, http://diefreiheitsliebe.de/international/palastina/israels-letzter-uberfall-auf-gaza-die-luge-wer-angefangen-hat, 25.06.2015.

7 B’Tselem, http://www.btselem.org/statistics/fatalities/during-cast-lead/by-date-of-event, 25.06.2015.

8 Jahresberichte 2010, 2011 und 2012 vom Palestinian Center for Human Rights (PCHR), http://www.pchrgaza.org/portal/en/index.php?option=com_content&view=category&layout=blog&id=40&Itemid=172, 25.06.2015.

9 B’Tselem, http://www.btselem.org/statistics/fatalities/after-cast-lead/by-date-of-event, 25.06.2015.

10 Gershon Baskin: Mord an der Chance für Ruhe, Aixpaix 15. November 2012, http://www.aixpaix.de/autoren/baskin/mord.html, 25.06.2015.

11 Harald Etzbach Gaza: Der ganz normale israelische Terror, Sozialistische Zeitung Dez 2012, http://www.sozonline.de/2012/12/gaza-der-ganz-normale-israelische-terror, 25.06.2015.

12 Knut Mellenthin: Anlaß zur Skepsis. Angriff auf Gaza – Abschluß israelischamerikanischer Militärübung, junge Welt, Freitag, 23. Nov. 2012, http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Gaza/israel12.html, 25.06.2015.

13 Karin Leukefeld: "Mäht Gaza nieder" Bombenkrieg gegen Palästinenser: Israelische Minister hetzen zu Mord und Vertreibung. Trotzdem Waffenstillstand vereinbart, 21. Nov. 2012, junge Welt, 2. Artikel auf der folgenden Webseite: http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Gaza/israel8.html, 25.06.2015.

14 Ebenda.

15 Araber töten … kein Problem, INAMO – Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten, 09.01.2014, http://www.inamo.de/index.php/israel-palaestina-beitrag-lesen/items/araber-toetenkein-problem.html, 25.06.2015. Empfehlenswert in diesem Zusammenhang ist auch der Dokumentarfilm „Töte zuerst“, in dem sechs ehemalige des Chef des israelischen Inlandsgeheimdienstes Schin Bet aussagen.

16 Richard Falk: Die neueste Katastrophe in Gaza. Viele Aspekte des gegenwärtigen Angriffs auf Gaza unterlaufen den Radarschirm des Weltgewissens, AG Friedensforschung, Nov. 2012, http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Gaza/falk3.html, 25.06.2015.

17 Ebenda.

18 Mazin B. Qumsiyeh: Popular Resistance in Palestine: A History of Hope and Empowerment, Pluto Press 2011.

19 Soldiers Granted More Freedom in Live Ammunition Regulations, International Middle East Media Center, 12. Dez. 2012, http://www.imemc.org/article/64733, 25.06.2015.

20 Breaking the Silence (Herausgeber): Breaking the Silence. Israelische Soldaten berichten von ihrem Einsatz in den besetzten Gebieten, Berlin 2012, und AMNESTY REPORT 2012 für Israel und die besetzten Gebiete, http://www.amnesty.de/jahresbericht/2012/israel-und-besetzte-palaestinensische-gebiete?destination=node%2F2939%3Fcountry%3D53%26topic%3D%26node_type%3Dai_annual_report%26from_month%3D0%26from_year%3D2011%26to_month%3D0%26to_year%3D2012%26submit_x%3D85%26submit_y%3D12%26result_limit%3D10%26form_id%3Dai_core_search_form, 25.06.2015.

21 AMNESTY REPORT 2012 für Israel und die besetzten Gebiete, a. a. O.

22 Soldiers Granted More Freedom in Live Ammunition Regulations, a. a. O.

23 Minutenprotokoll. Raketenhagel und Dauerbombardements in der Nacht, Die Welt, 17. Nov. 2012, http://www.welt.de/politik/ausland/article111223758/Raketenhagel-und-Dauerbombardements-in-der-Nacht.html, 25.06.2015.

24 http://www.kopi-online.de sowie http://www.attac-netzwerk.de/ag-globalisierung-und-krieg/laender/palaestina


World Wide Web aixpaix.de

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Jeder Stifter einer Weltreligion verhieß Frieden, und zwar im Diesseits, zu erreichen durch Toleranz, Barmherzigkeit, Menschlichkeit. Staatsgründer taten es ihnen gleich und schrieben in ihre Grundgesetze: All men are created equal (Unabhängigkeitserklärung der USA). Großartige, kluge Worte. Und doch ist die menschliche Geschichte geprägt von Gewalt und Krieg, deren Beute von wenigen eingesackt wurde und dessen Leid von den Vielen getragen werden musste.

Wie gelang es und gelingt es in fast allen Gesellschaftsformationen, die Menschen gegeneinander in Stellung und zu Mord und Totschlag zu bringen und dies noch als gute und ehrenvolle Taten zu verkaufen? Die Massenmörder schrieben und schreiben die Geschichte, sie ließen sich den Titel ‚Der Große’ zumessen, und der Tod auf dem Schlachtfeld wurde zum Heldentod verklärt, während die ‚Kollateralschäden’ ignoriert wurden. Interessen obsiegen über Ethik und Moral.

Das Projekt Münchhausen fordert alle auf, die Geschichten der großen und kleinen Kriegslügen zu erzählen, mit denen die Menschen zur Gewalt gegen einander verführt wurden – von den Kreuzzügen, über den angeblich Gerechten Krieg, den Tonking-Zwischenfall an den Küsten Vietnams, bis zur dreisten Lüge des US-Außenministers über die Atombomben des Saddam Hussein und dem Militär als letztem Mittel der angeblich Humanitären Intervention?

Wir müssen uns befreien von dem Spinnengewebe der Lügen und Legitimationsideologien, die unsere Mitmenschen zu Feinden und Feindbildern und uns zu Gewalt gegen sie in der globalisierten Gesellschaft machen wollen. Das Projekt Münchhausen soll dazu einen Beitrag leisten.