IPPNW-Delegationsreise in die Südosttürkei

Die Türkei braucht einen Friedensprozess und demokratische Rechte

22.06.2016 – Die ärztliche Friedensorganisation IPPNW fordert die Bundesregierung auf, ihren OSZE-Vorsitz zu nutzen, um im Konflikt zwischen der Regierung Erdogan und der kurdischen Bevölkerung zu vermitteln.

„Die äußerst fragwürdige EU-Vereinbarung mit der Türkei in der Flüchtlingsfrage darf nicht auch noch dazu führen, dass Europa die Augen vor den kriegsähnlichen Zuständen in der Südosttürkei und der zunehmenden Repression gegen Oppositionelle verschließt“, erklärt die IPPNW-Vorsitzende Susanne Grabenhorst. Die jüngsten Verhaftungen von BürgerrechtlerInnen sowie die Verfassungsänderung mit der Folge der Aufhebung der Immunität fast aller kurdischen Parlamentsabgeordneten seien alarmierende Signale. Die dringend notwendige  Rückkehr zum Friedensprozess werde dadurch weiter erheblich erschwert.

IPPNW-Mitglieder, die die Türkei im Rahmen einer Delegationsreise im März besuchten und Gespräche mit zahlreichen VertreterInnen von Parteien und zivilen Organisationen führten, beklagen, dass die Armee massiv  gegen die kurdische Bevölkerung vorgehe. Ganze Stadtviertel seien mit schwerer Artillerie beschossen, Menschen trotz weißer Fahnen von Scharfschützen ermordet worden. Verletzte konnten nicht behandelt, Tote nicht geborgen werden. Etwa 400.000 Menschen hätten bereits ihre Wohnungen verloren oder verlassen. In der zerstörten Altstadt Sur von Diyarbakir habe die Regierung zudem 6.000 Grundstücke beschlagnahmen lassen. 

VertreterInnen der Ärztekammer Diyarbakir berichteten den DelegationsteilnehmerInnen, dass seit dem  5. Juni 2015 über 200 Zivilisten in der Region ihr Leben verloren haben. 1.000 seien verletzt worden - unter ihnen 95 Kinder unter 18 Jahren, drei Krankenschwestern und ein Arzt. Drei Gesundheitszentren habe das Militär besetzt, zwei in Sur und eins in Baglar, noch bevor es dort Ausgangssperren gegeben habe. Laut der türkischen Menschenrechtsstiftung wurden zwischen dem 16. August 2015 und dem 20. April 2016 sogar mindestens 338 Zivilisten getötet. Die Gesprächspartner der Delegation bezeichneten die Gewalt durch Spezialeinheiten, Polizei und Militär als Antwort auf bewaffnete jugendliche Einheiten als völlig unverhältnismäßig. Etwa 15.000 bis 20.000 Soldaten hätten die Stadtviertel mit schweren Waffen beschossen und anschließend Haus für Haus zerstört.

Mehr als 2.000 türkische Intellektuelle distanzierten sich von der kriegerischen Politik bereits Anfang des Jahres mit dem Aufruf „Nicht in unserem Namen“. Sie wurden daraufhin sanktioniert  und zum Teil verhaftet und angeklagt. Unter ihn befindet sich die Präsidentin der türkischen Menschenrechtsstiftung und Professorin für Rechtsmedizin Sebnem Korur Fincancı, die vorgestern auf Grundlage der Antiterrorgesetze verhaftet wurde. Sie hatte sich zusätzlich an einer Solidaritätskampagne für eine türkisch-kurdische Zeitung beteiligt. 


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