Neue Wege für die Rüstungsforschung

RWTH Aachen richtet Professur für Rüstung ein

von Andreas Seifert / 2. November 2012

Den Lesern des Magazins Europäische Sicherheit & Technik (früher: Strategie & Technik) ist das INT in Euskirchen ein Begriff. Das Fraunhofer-Institut für naturwissenschaftlich-technische Trendanalyse kurz INT ist bekannt für seine Beobachtungen von Forschung mit Bezug zu Rüstung und Militär. Es veröffentlicht wissenschaftlich untermauerte Prognosen, wohin sich Wehrwirtschaft und -technologie entwickeln könnten und sollten. Mit seinen 100 Mitarbeitern und einem Jahresbudget von 7,2 Millionen Euro ist es seit Jahrzehnten das Beratungsinstitut für das Verteidigungsministerium in Technik- und Forschungsfragen. Das INT ist überdies am Fraunhofer Verbund Verteidigung und Sicherheit beteiligt.

Zum 1. September fand nun der Wechsel in der Geschäftsführung des INT statt, der auch eine Wende in der Institutspolitik und darüber hinaus markiert.[1] Bisher schon mit der im Rahmen des Bonn-Berlin-Ausgleichs gegründeten Hochschule Bonn-Rhein-Sieg verbandelt, wird nun mit der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen eine strategische Partnerschaft eingegangen. Der bisherige Institutsdirektor Wiemken war bereits Honorarprofessor an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg und auch der neue Leiter wird als Professor eine Hochschule eng an das INT binden – allerdings nicht als Honorarprofessor, sondern als ordentlicher Professor mit eigenem Lehrstuhl und regelmäßigen Lehrveranstaltungen. Die neu geschaffene Professur „Technologieanalysen und -vorausschau auf dem Gebiet der Sicherheitsforschung“ an der Fakultät für Maschinenwesen ist insofern bemerkenswert, als mit ihr erstmals ein Lehrstuhl geschaffen wird, der ein Verbindung zwischen Trendanalyse und unmittelbarer technischen Forschung herstellt. Der Eindruck drängt sich auf, dass die RWTH Aachen sich mit dieser Professur eine besondere Ausgangsbasis schafft, die Forschung im Bereich der Sicherheitstechnik und Rüstung zu verstärken. Die RWTH Aachen etabliert sich mit diesem Schritt an der vordersten Front dessen, was der Verteidigungsminister de Maizière als die Stärkung der Wehrwissenschaften einfordert.

Bereits im Ressortforschungsplan des Verteidigungsministerium für 2011 hieß es: „Wehrwissenschaftliche Forschung setzt grundsätzlich auf den Erkenntnissen der zivilen Forschung auf (‚Add-on-Prinzip‘), wenn nationale Sicherheitsinteressen und das angestrebte Fähigkeitsprofil der Bundeswehr es erfordern. Sind entsprechende Ergebnisse anderer Ressorts bzw. der zivilen Forschung nicht verfügbar, müssen sie im Rahmen der Ressortforschungsaktivitäten erarbeitet werden. Konzepte und entsprechende Technologien, die sowohl für die wehrwissenschaftliche Forschung als auch für die zivile Sicherheitsforschung relevant sind, bilden die Schnittstellen für das BMVg zur zivilen Sicherheitsforschung (‚Dual-use-Prinzip‘).“[2]

Dass dabei auf das Konzept der „Wehrwissenschaften“ zurückgegriffen wird, ist in mehrfacher Hinsicht zu problematisieren. Als Querschnittswissenschaft stellt es letztlich keine eigene abgrenzbare Disziplin dar, sondern setzt interdisziplinäre Strukturen und Verwertungsmechanismen an, die sich je nach Bedarf bei allen vorhandenen Disziplinen bedienen, um einer „Wehrhaftmachung“ Vorschub zu leisten – mit ihr wird es tatsächlich möglich, Forschungsergebnisse jedweder Disziplin auf Verwertbarkeit für den Krieg systematisch zu prüfen. Die bewusste Vermischung der Kategorien zivil und militärisch, die dem „Wehr“-Gedanken zugrunde liegt, findet ihre Verlängerung in der Vereinnahmung der vermeintlich zivilen Sicherheitsforschung. Mit dem Begriff „Wehrwissenschaft“ wird zudem an Konzepte und Formen anknüpft, wie sie in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts in Deutschland entstanden sind. „Wehrwissenschaften“ war einer der Bausteine, der die Akzeptanz von Krieg in der Gesellschaft förderte und damit mit als einer der Wegbereiter des zweiten Weltkriegs gesehen werden kann.[3]

Unter diesem Aspekt betrachtet ist auch die Forderung de Maizières nach einer breiteren gesellschaftlichen Diskussion von Krieg und Frieden mit Vorsicht zu genießen – es ist kein Gesprächsangebot, sondern eine Mogelpackung: „Unser gemeinsamer, erweiterter Sicherheitsbegriff legt gleichzeitig nahe, dass wir auch über die Bundeswehr hinaus Akteure und Instrumente finden müssen, die in der zu ihnen passenden Form aktiv zu unserer Sicherheit beitragen können.“[4]

Mit Michael Lauster ist zudem eine „ideale“ Besetzung für die Professur gelungen: als Oberstleutnant der Bundeswehr kennt er die technischen Bedürfnisse der Luftwaffe auf das Beste und hat zudem als Privatdozent und promovierter Diplom-Ingenieur auch schon Lehrerfahrungen an der Bundeswehruniversität in München sammeln können. Spätestens hier sollte klar sein, wohin eine solche Professur leitet: in die Anbindung ans Militär.

Dabei war es jüngst der Rektor der RWTH, Ernst Schmachtenberg, der als Vorsitzender des TU9, einem Zusammenschluss der 9 führenden technischen Universitäten in Deutschland, auf Rüstungsforschung angesprochen zu Papier gab: „Wir Deutschen haben mit Rüstungsforschung eine Menge Unheil angerichtet. Ich halte diesen Weg für eine offene Universität in Deutschland für ungeeignet. Wenn Rüstungsforschung politisch gewollt ist, soll sie an eigens dafür eingerichteten Forschungsinstituten etabliert werden, nicht bei uns. Wir fordern aber nicht mehr Rüstungsforschung, sondern eine bessere Grundfinanzierung.“[5]

Die Antwort auf die Frage, wie sich die Diskrepanz in Aussage des Rektors zu den getroffenen Entscheidungen bezüglich der Professur stellen, steht leider noch aus. Sie ist Prof. Schmachtenberg in einem Brief vom 29. Oktober 2012 übermittelt worden – geantwortet hat er noch nicht.

Solange man auf die Erhöhung der Grundfinanzierung wartet, so müsste man hinzufügen, hat aber auch die RWTH Aachen kein Problem damit, Rüstungsforschung zu betreiben und Kooperationen mit Rüstungsforschungsinstituten einzugehen.

Anmerkungen

[1] “Wechsel der Institutsleitung am Fraunhofer INT”, Presseinformation vom 14.9.2012. INT

[2] Ressortforschungsplan des Bundesministeriums der Verteidigung für 2011, S.6 ff., Bonn. Ich danke Dietrich Meyer Ebrecht für den Hinweis auf diese Passage.

[3] Zu dem Komplex von Wehrwissenschaft in historischer Dimension und seine Aktualität siehe Frank Reichherzer, “Alles ist Front!” – Wehrwissenschaften in Deutschland und die Bellifizierung der Gesellschaft vom Ersten Weltkrieg bis in den Kalten Krieg, Paderborn 2012.

[4] Rede de Maizières anlässlich der Veranstaltung „Sicherheit gemeinsam gestalten“ in der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, Berlin, 5.9.2012. BMVG

[5] “Universitäten geht die Kraft für den internationalen Wettbewerb aus”, Interview mit Ernst Schmachtenberg in den VDI-Nachrichten 7.9.2012 (online).

Der Beitrag erschien als IMI-Standpunkt 2012/062. aixpaix.de dankt für die freundliche Veröffentlichungsgenehmigung.

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