Otmar Steinbicker
Die Modernisierung der Atomwaffenpotenziale bedroht das Gleichgewicht des Schreckens
Aachener Nachrichten, 08.08.2017
Vor 72 Jahren, am 6. und 9. August 1945, warfen die USA Atombomben auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki, die hunderttausende Opfer forderten. Im Kalten Krieg entging die Welt während der Kuba-Krise 1962 nur knapp einem Atomkrieg zwischen den USA und der UdSSR. In den 1980er Jahren demonstrierten Hunderttausende Bundesbürger und Millionen Menschen in aller Welt gegen die atomare Rüstung.
Seit dem 7. Juli dieses Jahres sind Atomwaffen völkerrechtlich verboten. Dieses verbindliche Verbot beschlossen 122 von 193 UN-Mitgliedstaaten. Atomwaffen sind damit ebenso geächtet wie biologische und chemische Waffen. Das ist ein wichtiger Schritt.
Ausdrücklich verboten sind unter anderem die Entwicklung, Erprobung, Herstellung, Erwerb, Besitz, Transfer und der Einsatz von Atomwaffen. Ebenso untersagt ist die Stationierung von Atomwaffen anderer Staaten auf dem eigenen Territorium. Die Bundesregierung handelt mit ihrer Duldung der Stationierung von US-Atomwaffen auf dem Luftwaffenstützpunkt der Bundeswehr in Büchel in der Eifel eklatant völkerrechtswidrig.
Keine Zwangsmittel
Die neun Staaten, die Atomwaffen besitzen – neben den USA und Russland auch die weiteren Ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates Großbritannien, Frankreich und China sowie Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea –, waren den Verhandlungen über das Atomwaffenverbot ferngeblieben, ebenso wie Deutschland und die anderen Nato-Staaten mit Ausnahme der Niederlande, die später als einziger Staat gegen den Verbotstext stimmten.
Was aber nutzt ein völkerrechtliches Verbot der Atomwaffen, wenn die Atomwaffen besitzenden Staaten sich nicht daran halten? Zwangsmittel zur Durchsetzung des Rechts gibt es keine, und in den UN setzen sich die Großmächte über das Völkerrecht hinweg, dessen Einhaltung sie von anderen Staaten fordern.
Dennoch ist der Verbotsvertrag geeignet, zusätzlichen politischen Druck für atomare Abrüstung auszuüben. Dieser ist dringend erforderlich, da seit einigen Jahren die USA und Russland Kurs in Richtung auf eine neue Spirale des atomaren Wettrüstens nehmen und diese hochgefährliche Entwicklung mehr und mehr Fahrt aufnimmt.
Atomare Erstschlagfähigkeit
Was derzeit als unverfänglich erscheinende „Modernisierung“ der Atomwaffenpotenziale angekündigt wird, ist vor allem vonseiten der USA auf die Herstellung einer atomaren Erstschlagfähigkeit gerichtet. Darunter ist die Fähigkeit zu verstehen, einen atomaren Angriff zu führen, der die Gegenseite so weit entwaffnet, dass sie nicht mehr zu einem vernichtenden Gegenschlag in der Lage ist. Erreicht werden soll das durch eine Kombination aus äußerst zielgenauen Atomwaffen und einem dichten Netz eines Raketenabwehrsystems. Sollte eine solche Fähigkeit erreicht werden, dann wäre das das Ende des Gleichgewichts des Schreckens.
Da Russland sich nicht einer solchen Situation aussetzen will, wird auch dort die „Modernisierung“ der Atomwaffenpotenziale vorangetrieben, mit dem Ziel, auf jeden Fall die Zweitschlagfähigkeit zu erhalten. Dieser Rüstungswettlauf zwischen beiden Mächten birgt in sich wiederum ein enormes Potenzial zur Auslösung eines Atomkrieges und sei es durch die irrtümliche Annahme eines atomaren Angriffs der anderen Seite aufgrund eines eigenen Computerirrtums. Wir kennen auf beiden Seiten Beispiele solcher Irrtümer aus den 1970er und 1980er Jahren.
Wenn die Gefahr eines Atomkriegs gebannt werden soll, dann müssen letztlich die Atomwaffen gebannt sein. Dazu hat das völkerrechtliche Verbot einen Beitrag geleistet. Es gibt aber auch unterhalb der Schwelle der Abschaffung der Atomwaffen noch viel zu tun.
Ein System von Verträgen
In den Jahrzehnten nach der Kuba-Krise von 1962 hatten die USA und die UdSSR und später Russland ein System von Verträgen geschlossen, um die atomare Kriegsgefahr einzuschränken. Dieses System droht jetzt zusammenzubrechen. Damit steigt die Gefahr eines Atomkrieges absehbar wieder auf ein Niveau wie 1962. Hier ist auch die Bundesregierung gefordert, auf die USA und Russland in Hinblick auf atomare Abrüstung einzuwirken.
Otmar Steinbicker ist Herausgeber des Aachener Friedensmagazins www.aixpaix.de. Seine Beiträge finden Sie hier