Otmar Steinbicker
Kriegsgefahr in Nahost ist noch nicht gebannt
Aachener Nachrichten, 11.02.2020
Die unmittelbare Gefahr eines großen Krieges zwischen den USA und dem Iran, der die gesamte Region des Nahen und Mittleren Ostens in Brand setzen könnte, scheint erst einmal gebannt zu sein. Die Regierungen beider Länder setzen auf Deeskalation. Die entscheidenden Konflikte im Hintergrund sind damit allerdings noch keinesfalls gelöst und die daraus resultierenden Gefahren nicht gebannt.
Schließlich ist es ein ganzes Bündel gleichzeitiger und ineinander verwobener Konflikte, das eine Lösungssuche verkompliziert. Da geht es um das Atomabkommen mit dem Iran, das dem Land den Bau einer Atomwaffe unmöglich machen soll. Da geht es um die fragile staatliche Existenz des Irak, dessen schiitische Regierung enge Beziehungen zum Iran unterhält, auch um den IS niederzuhalten. Da geht es um den Bürgerkrieg in Syrien, in dem sich der Iran als Schutzmacht der schiitischen Aleviten und damit zugleich auch des Assad-Regimes engagiert. Da geht es um die traditionell komplizierte innenpolitische Situation des Libanon und da geht es auch um den ungelösten Israel-Palästina-Konflikt. Da spielen ebenfalls Auseinandersetzungen um regionale Vormachtstellungen zwischen dem Iran, Saudi-Arabien und der Türkei eine Rolle. Die Bedrohung durch den IS greift weit über den regionalen Rahmen bis in das vom Bürgerkrieg zerrissene Libyen hinaus. Nicht alle Konflikte haben unmittelbar miteinander zu tun und die jeweiligen Konfliktursachen sind unterschiedlich und vielfältig. Aber all diese Konflikte müssen gelöst werden, wenn die Kriegsgefahr letztlich gebannt werden soll.
Bundesregierung ist gefragt
Hier ist mit Beiträgen zu Konfliktlösungen auch die Bundesregierung gefragt, die das stärkste Land in der EU repräsentiert. Dass da Militäreinsätze nicht weiterhelfen können, sollte bereits bei einem flüchtigen Blick auf das Konfliktgemenge einleuchten. Diplomatie kann hingegen gleichzeitig an mehreren Brandherden schlichtend eingreifen.
Ganz oben auf der Agenda muss sicherlich die Beibehaltung und Durchsetzung des Atomabkommens mit dem Iran stehen, zumal hier Deutschland gemeinsam mit den USA, Großbritannien, Frankreich, Russland und China Mitunterzeichner ist. Dieses 2014 geschlossene Abkommen wurde von den USA aufgekündigt, nicht vom Iran. Und dieses Atomabkommen beinhaltet nicht nur den weitgehenden Verzicht des Iran auf Urananreicherung, sondern auch die Aufhebung der zuvor verhängten Sanktionen gegen den Iran, was die USA verweigern. Hier ist vor allem eine entschiedene gemeinsame Haltung zur Wiederinkraftsetzung und Durchsetzung des Abkommens gegen die Politik der USA gefragt. Auch ein berechtigtes Interesse der USA und anderer Staaten an weitergehenden Übereinkünften mit dem Iran, vor allem hinsichtlich der Produktion weitreichender Raketen, setzt die Beibehaltung des Atomabkommens voraus. Im Übrigen gilt der diplomatische Grundsatz: Wer von der anderen Seite eine Leistung erhalten will, muss auch selbst eine Gegenleistung anbieten. Erst dann kann ein Abkommen vereinbart werden.
Am heutigen Samstag haben sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Heiko Maas zum Besuch bei Russlands Präsident Wladimir Putin angesagt, um über das gesamte Konfliktpotenzial zu sprechen.
Russisches Eigeninteresse
Das ist ein guter und wichtiger Schritt, denn Putin hält in den meisten Konflikten Fäden in der Hand und beste Kontakte zu den oft miteinander verfeindeten Regierungen im Iran, in der Türkei, in Syrien und Israel. Damit ist er eine Schlüsselfigur. Dass Putin Diplomatie betreibt, nicht um als Friedensengel in die Geschichtsbücher einzugehen, sondern um knallharte russische Interessenpolitik zu betreiben, versteht sich. Auch Deutschland hat deutliche Interessen. Dass das Pulverfass des Nahen und Mittleren Ostens nicht explodiert, liegt im beiderseitigen Interesse. Dass sich das deutsch-russische Verhältnis entspannt, sollte ebenfalls im gemeinsamen Interesse liegen. Aus dieser Interessenlage heraus können beide Seiten Initiativen für Frieden und Entspannung in Europa und im Nahen und Mittleren Osten entwickeln, wenn sie es wollen.
Otmar Steinbicker ist Herausgeber des Aachener Friedensmagazins www.aixpaix.de. Seine Beiträge finden Sie hier