Otmar Steinbicker

Bundesregierung behält sich doppelten Verfassungsbruch vor

Aachener Nachrichten, 18.09.2018

Otmar Steinbicker, Foto: Beate Knappe

Die US-Regierung fordert von Deutschland eine Beteiligung der Bundeswehr an Militärschlägen gegen Syrien im Falle eines erneuten Giftgaseinsatzes des Assad-Regimes angesichts der sich abzeichnenden Offensive der syrischen Regierungstruppen gegen die letzte Hochburg der Rebellen in der Provinz Idlib.

Die Bundesregierung hat sich bei ihren Ansätzen zu einer Antwort auf die Forderung aus Washington in ein Dilemma verstrickt. Dass sie dazu beitragen will, einen Giftgaseinsatz zu verhindern, ist dabei nur einer von mehreren Aspekten, die zu berücksichtigen sind.

Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hat in seiner Studie „Rechtsfragen einer etwaigen Beteiligung der Bundeswehr an möglichen Militärschlägen der Alliierten gegen das Assad-Regime in Syrien“ vom 10. September klar und unmissverständlich festgestellt: „Im Ergebnis wäre eine etwaige Beteiligung der Bundeswehr an einer Repressalie der Alliierten in Syrien in Form von ‚Vergeltungsschlägen‘ gegen Giftgas-Fazilitäten völkerrechts- und verfassungswidrig.“ Das hält allerdings bisher weder die Kanzlerin noch die Verteidigungsministerin davon ab, sich öffentlich für die Möglichkeit eines solchen Einsatzes auszusprechen. Beide gehen sogar noch deutlich einen Schritt weiter. Angesichts einer möglichen Weigerung der SPD-Fraktion einem solchen Bundeswehrmandat zuzustimmen, halten sie sogar eine Einsatzbeteiligung ohne Genehmigung des Bundestages für möglich.

Wie Steffen Seibert, Sprecher der Bundesregierung erklärte, müsse „nicht in jedem Fall“ vorab der Bundestag gefragt werden. Das könne auch nachträglich geschehen, „wenn etwa Gefahr im Verzug“ sei. Damit behält sich die Bundesregierung offen ausgesprochen einen doppelten Verfassungsbruch vor.

Ob die Bundesregierung allerdings wirklich in den Krieg ziehen will, lässt sich so eindeutig noch nicht beantworten. Schließlich weiß auch sie, welche Risiken drohen. Das Regime in Syrien steht nicht allein und isoliert da, sondern hat Russland als mächtigen militärischen Verbündeten. Die russische Armee hat dort zum Schutz ihres Militärstützpunktes die modernsten verfügbaren Abwehrraketen vom Typ S-400 stationiert, womit sie in der Lage ist, Flugzeuge und Flugkörper in einem Radius von 400 Kilometern abzuschießen.

Wer Luftangriffe auf syrisches Territorium verüben will, muss also entweder Raketen oder Marschflugkörper aus größerer Distanz und damit mit höherer Fehlerquote abschießen oder Russland um eine Genehmigung für einen Angriff bitten. Das tat in der Vergangenheit die israelische Regierung, bevor sie Stützpunkte iranischer Truppen in Syrien angriff.

Wie auch immer, wer eine Eskalation eines militärischen Konflikts mit Russland vermeiden will, wird eine gewisse Zurückhaltung üben müssen, so wie die USA, Großbritannien und Frankreich bei ihren Luftangriffen im April, die eher symbolische Bedeutung hatten. Insofern signalisieren solche Militäraktionen letztlich politische Hilflosigkeit.

Dabei wären angesichts der bevorstehenden blutigen Kämpfe um Idlib politische und diplomatische Anstrengungen für eine Nachkriegslösung in Syrien dringend erforderlich. Dabei müssen alle derzeit in Syrien kämpfenden Konfliktparteien einbezogen werden. Militärisch haben die unterschiedlichen Rebellenmilizen keine Chance mehr sich durchzusetzen. Allerdings muss auch das Assad-Regime daran gehindert werden, weiterhin politische Gegner zu Tausenden zu ermorden. Wie das angesichts einer völlig zersplitterten politischen Opposition in Syrien gelingen kann, ist eine sehr offene Frage. Militäreinsätze tragen jedenfalls nicht zu ihrer Beantwortung bei.

Eher kann womöglich ein Weg im Zusammenwirken mit den ausländischen Unterstützern der syrischen Bürgerkriegsparteien gefunden werden. Da spielt nicht nur Russland eine Rolle, sondern auch der Iran, die Türkei, Saudi-Arabien, Katar und die USA. Die Bundesregierung kann und sollte für die Lösung des Konfliktes sinnvollerweise diplomatische und ökonomische Mittel einsetzen.

Otmar Steinbicker ist Herausgeber des Aachener Friedensmagazins www.aixpaix.de. Seine Beiträge finden Sie hier


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