Otmar Steinbicker
Wie Donald Trumps Plan, die Europäer gegeneinander auszuspielen, durchkreuzt werden kann
Aachener Nachrichten, 19.01.2017
Es war ein Blick ins Höllenfeuer, als im November ein Oberst im Generalstab des Heeres in einer Diskussion vor Fachpublikum erklärte, er könne verstehen, wenn Bundeswehr-Soldaten, die demnächst nach Litauen geschickt werden, mulmig zumute sei. Im Falle einer militärischen Konfrontation mit Russland könne sie niemand mehr dort rausholen. Anders als im Winter 1942/43 in Stalingrad dürften die Eingeschlossenen keinerlei Hoffnung auf eine Entsatzarmee haben.
Als am Montag Donald Trumps Interview erschien, in dem er sich gegen die EU positionierte und die Nato für „obsolet“ (sprich: veraltet) erklärte, war das ein weiterer Blick ins Höllenfeuer. Die Perspektive eines alles vernichtenden Krieges in Europa erscheint nicht mehr so undenkbar wie noch vor wenigen Jahren. Während der Oberst realistisch ein denkbares Kriegsszenario einschätzte, griff Trump bisher als selbstverständlich geltende Grundlagen der europäischen Nachkriegsordnung an.
Simples Kalkül
Trumps Kalkül ist simpel. Er will die Europäer und auch andere Staaten gegeneinander ausspielen in der vagen Hoffnung, dass die USA daraus ökonomische Vorteile ziehen könnten. Die Konsequenzen für die internationalen Beziehungen sowohl in Handels- als auch in Sicherheitsfragen scheinen ihm nicht bewusst zu sein. Ein Zerfall der EU würde Europa nicht zuletzt eines wichtigen Forums berauben, in dem Interessenunterschiede verschiedener Staaten austariert werden können. Kritik an der konkreten EU-Praxis kann nicht die Notwendigkeit eines solchen Forums ersetzen.
Bei der Nato liegt der Fall anders. Sie umfasst die große Mehrheit der Staaten Europas und wirkt zwar bei Konflikten zwischen Mitgliedern wie Griechenland und der Türkei schlichtend, als mächtigster Militärblock der Welt nach außen aber zugleich bedrohlich.
Trumps Vorgehen steht im Gegensatz zu seinem Amtsvorgänger Woodrow Wilson, der am Ende des Ersten Weltkrieges die Notwendigkeit eines Systems der kollektiven Sicherheit erkannte, in dem alle Staaten der Welt gemeinsam Konflikte und Probleme in Verhandlungen und nicht durch Krieg lösen. Ein solches System ist kein Bündnis gegen andere Staaten.
Die UNO wurde 1945 auf dieser Basis gegründet. Die Nato und der Warschauer Pakt dagegen entstanden als Systeme der „kollektiven Verteidigung“ gegen reale oder vermeintliche Feinde. Solche Systeme benötigen per definitionem einen Feind, ansonsten wären sie unnötig. Genau darin besteht das Dilemma der Nato seit dem Zerfall des Warschauer Paktes 1991. Die 1995 aus der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit (KSZE) hervorgegangene OSZE basiert auf dem UNO-Prinzip. Sie könnte mit deutlich erweiterten Befugnissen die Nato ersetzen und die Konflikte mit Russland in Verhandlungen lösen.
Wer heute Trumps hochgefährliches Spiel der Spaltung der Europäer und der Welt durchkreuzen will, muss hier ansetzen, um ein Szenario zu verhindern, das dem der Zeit kurz vor dem Ersten Weltkrieg ähneln könnte. Neues Denken erfordert dann unvermeidlich die Erinnerung an Michail Gorbatschow und auch an Woodrow Wilson. Es muss aber auch initiiert und praktisch umgesetzt werden.
Gestiegene Verantwortung
Deutschlands Bedeutung innerhalb Europas ist im Laufe der Zeit gewachsen, daraus ergibt sich eine gestiegene Verantwortung in und für Europa und auch darüber hinaus. Diese muss die Bundesregierung jetzt wahrnahmen. Es geht dabei konkret um eine Einbeziehung Russlands in ein neues, breiter angelegtes System der kollektiven Sicherheit in Europa. Russland hatte dazu zuletzt 2008 einen bemerkenswerten konkreten Vorschlag vorgelegt, den Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier damals vergeblich zur Diskussion innerhalb der OSZE empfahl.
Wladimir Putin hat sein Interesse an einer Einbeziehung Russlands noch nach Erscheinen des Trump-Interviews bekundet. Wer in einer Achse Trump-Putin-Erdogan eine ernsthafte Gefahr für Europa sieht, sollte die Chance wahrnehmen, Russland in Europa zu integrieren. Da muss es dann auch um den Abbau alter Ängste gehen, auch in Russland, Polen und den baltischen Staaten.
Otmar Steinbicker ist Herausgeber des Aachener Friedensmagazins www.aixpaix.de. Seine Beiträge finden Sie hier