Projekt Münchhausen

Hannes Wader

Es ist an der Zeit

Weit in der Champagne im Mittsommergrün,
dort wo zwischen Grabkreuzen Mohnblumen blühn,
da flüstern die Gräser und wiegen sich leicht,
im Wind der sanft über das Gräberfeld streicht.

Auf deinem Kreuz finde ich toter Soldat,
deinen Namen nicht, nur Ziffern und jemand hat die Zahl 1900 und 16 gemalt und du warst nicht einmal 19 Jahre alt.

Ja auch dich haben sie schon genauso belogen, so wie sie es mit uns heute immer noch tun.
Und du hast ihnen alles gegeben, deine Kraft, deine Jugend, dein Leben.

Otmar Steinbicker

Lawrence of Arabia – Als die britische Kolonialmacht die Araber belog

Otmar Steinbicker, Foto: Beate Knappe

Wenn es um den heutigen Krieg in Syrien und Irak geht, dann gibt es im Vorfeld viele Lügen. Eine frühe Lüge ging bereits der Bildung beider Staaten voraus. Während des Ersten Weltkrieges versprach Großbritannien den arabischen Stämmen die Errichtung einer arabischen Nation für den Fall, dass sie sich an der Zerschlagung des Osmanischen Reiches beteiligten, das zu dieser Zeit die Herrschaft über die arabischen Gebiete bis zur Grenze zu Ägypten ausübte.

Bekannt wurde diese Geschichte vor allem durch den autobiografischen Bericht „Die Sieben Säulen der Weisheit“ von Thomas Edward Lawrence, der zwischen 1909 und 1914 als Archäologe Palästina und Syrien bereist hatte und ab Sommer 1916 als Verbindungsmann des britischen Geheimdienstes vor Ort den Kontakt zum aufständischen Emir von Mekka hielt und als Militärberater die Beduinenkämpfer auf der arabischen Halbinsel in einen Guerillakrieg gegen die osmanische Armee führte. Lawrence durfte die Lügenhaftigkeit der Versprechungen der britischen Kolonialmacht nicht entgangen sein, auch wenn er sich in seinen subjektiv ehrlichen Bemühungen persönlich von seiner Regierung getäuscht und hintergangen sah.

Dem Emir von Mekka, Hussein ibn Ali, der sich 1916 zum „König von Arabien“ ausrief, ging es vor allem um Macht für seine Familie. Bei Ausbruch des Krieges 1914 lavierte er noch zwischen der Osmanischen Regierung in Istanbul und der britischen Kolonialmacht in Kairo, um je nach Ausgang des Krieges als Statthalter einer osmanischen Provinz oder eines britischen Protektorates seine Machtansprüche aufrecht zu erhalten. Erst 1915 brach er mit den Osmanen und sandte den Briten seinen Plan für ein unabhängiges großarabisches Königreich. Dieses „Damaskus-Protokoll“ diente als Verhandlungsgrundlage für die arabisch-britische Kooperation im Ersten Weltkrieg.

Henry McMahon, Hoher Kommissar der britischen Kolonialmacht in Kairo, stimmte in seiner Korrespondenz mit dem Emir von Mekka zwischen Juli 1915 und Februar 1916 der Errichtung eines selbständigen arabischen Königreiches zu, vermied dabei aber verbindliche territoriale Festlegungen und bevorzugte stattdessen vage Formulierungen. Immerhin wurden Hussein sämtliche arabische Provinzen des osmanischen Reiches außer der syrischen Mittelmeerküste versprochen und auf arabischer Seite wurde die Korrespondenz so gelesen, dass auch Palästina zum neu zu bildenden arabischen Reich gehören sollte.

Während McMahon noch mit dem Emir von Mekka korrespondierte, verhandelten längst die britische und französische Regierung über die Aufteilung ihrer Kolonialinteressen nach dem Zerbrechen des Osmanischen Reiches. Im November 1915 hatten der französische Diplomat François Georges-Picot und der Brite Mark Sykes eine geheime Übereinkunft ausgehandelt, die am 16. Mai 1916 offiziell geschlossen wurde und als Sykes-Picot-Abkommen in die Geschichte einging. Danach erhielt Großbritannien die Herrschaft über ein Gebiet, das das heutige Jordanien, den Irak und das Gebiet um Haifa umfasste, Frankreich sicherte sich seinerseits die Herrschaft über die Südost-Türkei, den Nordirak, Syrien und den Libanon. Jedes Land sollte die Staatsgrenzen innerhalb seiner Einflusszone frei bestimmen können. Später, am 2. Dezember 1918, vereinbarten Frankreich und Großbritannien darüber hinaus, dass auch das syrische Hinterland Frankreich zufiel.

Als sich Hussein ibn Ali am 2. November 1916 zum „König von Arabien“ ausrufen ließ, erkannten Großbritannien und Frankreich ihn lediglich als „König des Hedschas“ an.

Während die arabische Seite noch daran glaubte, durch die Korrespondenz mit McMahon Anspruch auf Palästina erheben zu können, sicherte Großbritannien ohne Rücksprache mit den arabischen Verbündeten im November 1917 in der Balfour-Deklaration die Schaffung einer Heimstätte für Juden in Palästina zu.

Auch Hussein ibn Ali hielt nicht alle Versprechen. Statt der von ihm versprochenen 100.000 bis 250.000 Stammeskrieger schlossen sich dem Aufstand gegen die osmanische Herrschaft lediglich einige tausend Männer an. Vor allem wurde Hussein außerhalb des Hedschas von den arabischen Scheichs, die jeweils ihre eigene Souveränität anstrebten, nicht als Oberhaupt anerkannt. So blieb seine Macht nach dem Ersten Weltkrieg auf das Königreich Hedschas beschränkt. 1921 verweigerte er ein Abkommen mit Großbritannien über einen Verzicht seiner Ansprüche auf Syrien, Libanon und Palästina. Daraufhin stellte London seine finanzielle Unterstützung ein.

Nach der Abschaffung des Kalifats durch Atatürk erklärte sich Hussein 1924 selbst zum Kalifen, wodurch er sich weitere Feinde in der arabischen Welt machte. Sein wahabitischer Gegenspieler Abd al-Aziz ibn Saud fiel mit seinen Kriegern ins Königreich Hedschas ein, so dass Hussein schließlich ins Exil nach Zypern floh. Hussein Sohn Abdallah I. wurden Emir in Transjordanien (1921–1951), sein zweiter Sohn Faisal I. wurde zuerst König in Syrien (1920) und später im Irak (1921–1932).

Großbritannien und Frankreich sicherten sich so für einen längeren Zeitraum die Herrschaft bzw. Kontrolle über die geostrategisch wichtige arabische Region. Sie legten damit zugleich die Grundlage für spätere Konflikte.

Der seit den 1930er Jahren anhaltende Nahostkonflikt wurde durch die widersprüchlichen Versprechungen der britischen Regierung an Araber und Juden befeuert und auch die aktuellen Konflikte im Irak ins Syrien und in den kurdischen Gebieten der Türkei, Iraks und Syriens haben Wurzeln, die bis in die Zeit der Auflösung des Osmanischen Reiches reichen. Diese Wurzeln müssen im Kontext einer Lösungssuche für diese Konflikte mitbedacht werden.

Otmar Steinbicker ist Herausgeber des Aachener Friedensmagazins www.aixpaix.de. Seine Beiträge finden Sie hier


World Wide Web aixpaix.de

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Jeder Stifter einer Weltreligion verhieß Frieden, und zwar im Diesseits, zu erreichen durch Toleranz, Barmherzigkeit, Menschlichkeit. Staatsgründer taten es ihnen gleich und schrieben in ihre Grundgesetze: All men are created equal (Unabhängigkeitserklärung der USA). Großartige, kluge Worte. Und doch ist die menschliche Geschichte geprägt von Gewalt und Krieg, deren Beute von wenigen eingesackt wurde und dessen Leid von den Vielen getragen werden musste.

Wie gelang es und gelingt es in fast allen Gesellschaftsformationen, die Menschen gegeneinander in Stellung und zu Mord und Totschlag zu bringen und dies noch als gute und ehrenvolle Taten zu verkaufen? Die Massenmörder schrieben und schreiben die Geschichte, sie ließen sich den Titel ‚Der Große’ zumessen, und der Tod auf dem Schlachtfeld wurde zum Heldentod verklärt, während die ‚Kollateralschäden’ ignoriert wurden. Interessen obsiegen über Ethik und Moral.

Das Projekt Münchhausen fordert alle auf, die Geschichten der großen und kleinen Kriegslügen zu erzählen, mit denen die Menschen zur Gewalt gegen einander verführt wurden – von den Kreuzzügen, über den angeblich Gerechten Krieg, den Tonking-Zwischenfall an den Küsten Vietnams, bis zur dreisten Lüge des US-Außenministers über die Atombomben des Saddam Hussein und dem Militär als letztem Mittel der angeblich Humanitären Intervention?

Wir müssen uns befreien von dem Spinnengewebe der Lügen und Legitimationsideologien, die unsere Mitmenschen zu Feinden und Feindbildern und uns zu Gewalt gegen sie in der globalisierten Gesellschaft machen wollen. Das Projekt Münchhausen soll dazu einen Beitrag leisten.