Leserzuschrift

UNO-Resolutionen können als Rechtsgrundlage für einen bewaffneten Einsatz der Bundeswehr nicht herangezogen werden

aixpaix-Leser Ralph Knauf aus Mönchengladbach schreibt:

Wenn Frau Merkel in ihrer Regierungserklärung sagt: „Dieses Mandat ist über jeden vernünftigen völkerrechtlichen oder verfassungsrechtlichen Zweifel erhaben.“ Und Herr Gabriel sekundiert, dass wir ja im Auftrag der UNO in Afghanistan seien, ist folgendes zu erwidern:

Ja, wir haben ein Mandat des UN-Sicherheitsrates. Der UN-Sicherheitsrat kann aber nur Recht sprechen, wenn er als neutraler Schiedsrichter wahrgenommen wird und als solcher anerkannt ist. Dies ist nicht der Fall. Er tritt als Anwalt seiner Mitglieder auf. Gerade bei den Resolutionen zu Afghanistan entscheidet er nach amerikanischem Interesse. (Bei Abstimmungen im entsprechenden Völkerbundsrat, beispielsweise, hatten die direkt beteiligten Konfliktparteien kein Stimmrecht!) Es dürfte auch nicht schwierig gewesen sein, die anderen ständigen Mitglieder, die ja teilweise selbst in Afghanistan engagiert sind, zu korrumpieren. Dass der UN-Sicherheitsrat als parteilich empfunden wird, zeigt sich insbesondere in der Bezeichnung durch den libyschen Revolutionsführer Muammar Al-Gaddafi als „UN-Terrorrat“ im September 2009 vor der UN-Vollversammlung. Man muss ja Gaddafi nicht sympathisch finden, aber in diesem Punkt hat er den Nagel auf den Kopf getroffen. Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva stimmte im gleichen Sinne, wenn auch etwas weniger polemisch zu: "Wir brauchen eine neue Weltordnung, die nachhaltig, multilateral, ausgeglichen und frei von Hegemonien ist".

Das gem. Art. 2 Abs. 4 der UN-Charta bestehende Gewaltverbot in den internationalen Beziehungen wird mit diesen Afghanistan-Resolutionen ad absurdum geführt. Zur Beurteilung der rechtlichen Situation kann und muss die sogenannte Radbruchsche Formel herangezogen werden, die nach dem 2. Weltkrieg durch den Rechtsphilosophen Gustav Radbruch (1878–1949) entwickelt wurde. Diese Formel besagt, dass nicht jedes ordnungsgemäß gebildete Recht zwangsläufig rechtmäßig ist.

In unserem Fall haben wir nämlich einen Konflikt zwischen positivem, durch den UN-Sicherheitsrat gesetzten Recht und der Gerechtigkeit . Nach Radbruch ist in solchen Fällen gegen das Gesetz und für die materielle Gerechtigkeit zu entscheiden, wenn das Recht nicht nur als „unerträglich ungerecht“ anzusehen ist, sondern die im Begriff des Rechts grundsätzlich angelegte Gleichheit aller Menschen aus Sicht des Interpreten „bewusst verleugnet“ wird. „Wo die Gleichheit, die den Kern der Gerechtigkeit ausmacht, bei der Setzung positiven Rechts bewusst verleugnet wurde, da ist das Gesetz nicht etwa nur ‚unrichtiges‘ Recht, vielmehr entbehrt es überhaupt der Rechtsnatur.“ (Gustav Radbruch: Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht. Süddeutsche Juristenzeitung 1946).

Später konkretisiert er noch: „Wo also … Gerechtigkeit nicht einmal erstrebt wird, können die so geschaffenen Anordnungen nur Machtsprüche sein, niemals Rechtssätze …; so ist das Gesetz, das gewissen Menschen die Menschenrechte (in unserem Falle den Afghanen das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit) verweigert, kein Rechtssatz. Hier ist also eine scharfe Grenze zwischen Recht und Nicht-Recht gegeben, während wie oben gezeigt wurde, die Grenze zwischen gesetzlichem Unrecht und geltendem Recht nur eine Maßgrenze ist … .“ (Gustav Radbruch: Vorschule der Rechtsphilosophie. 2. Auflage, Göttingen 1959, S. 34.)

Als ein Beispiel für die Anwendung der Formel durch deutsche Gerichte sei die Verurteilung der DDR-Grenzschützen angeführt. Diese Schützen hätten nach Ansicht der Gerichte bereits im Unrechtsstaat erkennen müssen, dass auch das Grenzregime an der innerdeutschen Grenze Unrecht ist. Deshalb wäre es Pflicht der Soldaten gewesen, den Gehorsam zu verweigern. Auch wenn nach § 213 DDR-StGB der ungesetzliche Grenzübertritt eine Straftat, mit § 27 DDR-Grenzgesetz der Schusswaffengebrauch zur Verhinderung dieser Straftat unter bestimmten Voraussetzungen legal war und ihnen das vor jedem Einsatz vorgebetet worden war. Die Soldaten wurden bestraft, auch wenn sie nicht wissen konnten, dass an anderen Grenzen dieser Welt nicht geschossen werden durfte. Sie wussten zudem nicht, ob der Flüchtling wirklich unbewaffnet, also wehrlos war. In der DDR kamen insgesamt 29 Grenzsoldaten ums Leben, die Mehrzahl wurde durch bewaffnete Flüchtlinge erschossen. Sie hatten also selbst Angst, so einem Grenzverletzer zu begegnen.

Im Gegensatz dazu hat heute jeder die Möglichkeit, den Widerspruch zwischen Recht und Gerechtigkeit in den Resolutionen selbst zu erkennen. Die Resolutionen können deshalb als Rechtsgrundlage für ein Bundestagsmandat für einen bewaffneten Einsatz der Bundeswehr nicht herangezogen werden. Werden sie es doch, kann das Ergebnis nicht als Recht betrachtet werden.


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